Zweites Buch

In München der Kaiser Ludwig hatte seinen Sohn, den Markgrafen, den Brandenburger, um die Schulter gefaßt. Ging auf und ab mit ihm. Redete gütlich auf den Finsteren, Verdrießlichen ein. Der Brandenburger sah, trotzdem er erst fünfundzwanzig Jahre war, sehr männlich aus. Blonder, kleiner Schnurrbart, harte, graublaue, etwas stechende Augen in gebräuntem, magerem Gesicht. Er hatte den massigen Nacken der Wittelsbacher, war groß, sehnig. Aber der wuchtige, ungeschlachte Kaiser überragte ihn doch um ein beträchtliches. Durch die gemalten Scheiben kam das helle, fahle Licht des Schneetags. Wie sie so auf und nieder gingen, der Kaiser den Arm um die Schulter des Sohnes, schien es, als schleifte er den Zögernden, sich Sperrenden.

Nein, nein! Er konnte es nicht und konnte es nicht.

Er brachte es einfach nicht über sich, die Herzogin Margarete zu heiraten. Er hatte jetzt eine fünfjährige Ehe hinter sich mit Elisabeth, der dänischen Prinzessin. Sie war ein bescheidenes Geschöpf gewesen, etwas dürr, ja. Nun war sie tot, Gott gebe ihr die ewige Ruh.

Jetzt will er drei, vier Jahre ohne Frau sein. In Brandenburg seine Staatsgeschäfte betreiben, Ackerbau, Städtewesen hinaufbringen, die Wenden kleinkriegen.

Die tirolische Margarete heiraten, die ihren Mann auf so sonderbare Weise davongejagt hat? Die extravagante Person? Nein, danke! Sein kaiserlicher Vater werde ihn stets dienstwillig finden. Aber die Margarete heiraten, nein!

Der Kaiser richtete die riesigen, starren, blauen Augen auf den Sohn. Sein Widerspruch überraschte ihn nicht, erregte ihn nicht. Es war kein Vergnügen, die Tirolerin zu heiraten. Er an seiner Stelle hätte sich auch gesträubt. Aber er wußte, sein Ludwig war ein guter Sohn, ein einsichtiger Fürst, der begriff, daß Heirat das wichtigste politische Mittel war. Eine Gelegenheit wie diese kam nicht wieder. Hatte Wittelsbach Tirol, so war die Ländermasse geschlossen, so regierte Wittelsbach vom Nordmeer bis zur Adria. Er verstand durchaus, daß Ludwig es vorgezogen hätte, auszuschnaufen, etliche Jahre Witwer zu bleiben. Aber dafür war er Fürst und Wittelsbacher. Er konnte sich solche Bequemlichkeit nicht gönnen.

Der mürrische Markgraf häufte weiter seine verdrossenen Einwände. Abgesehen davon, daß ihm diese Margarete und alles um sie tief zuinnerst gegen den Strich gehe, sei es gewiß, daß der Papst die Ehe der Tirolerin mit dem Luxemburger nicht lösen werde. Die ganze Christenheit werde wie ein Mann Skandal schreien, wenn er sich jetzt mit der Frau eines andern vermähle. Der Kaiser erwiderte gelassen, er habe sein Leben lang Bann und Interdikt tragen müssen; er könne es seinem Sohn nicht sparen. Ein Wittelsbacher komme leider anders nicht voran.

Der Markgraf entzog sich seinem Vater, lehnte sich an den Tisch in unbehaglichster Laune, strich sich mechanisch den kleinen Schnurrbart. Die dänische Elisabeth sei keine Helena gewesen, ein Fürst könne nicht nach Schönheit der Gestalt freien, das wisse er. Aber die Margarete! Die plumpe Taille! »Kärnten sagte der Kaiser. Das überworfene Maul! »Tirol sagte der Kaiser. Die Hängebacken! Die schrägen, vorstehenden Zähne! »Trient! Brixen sagte der Kaiser.

Durch München ritten indes die tirolischen Herren, die die Verhandlungen führten. Es war eine prunkvolle Gesandtschaft, an ihrer Spitze die ersten Herren des Landes, Burgstall, Villanders, Schenna, Eckehard von Trostberg. Sie hatten keine Eile, waren sehr zuversichtlich, beschauten anerkennend, behaglich die helle, bunte Stadt, die unter Ludwig rasch hochkam, die neue, wohnliche Residenz, die er sich baute. Die Wittelsbacher waren umsichtige, feste Herren. Man mußte nur, damit sie einem nicht zu genau kamen, sich mit allen Mitteln sichern. Das taten die Tiroler denn auch.

Ließen sich alle ihre Handfesten, Urkunden, Privilegien bestätigen. Rafften, rissen an sich. Erzwangen sich Vetorecht und Kontrolle über alle Regierungsmaßnahmen. Verärgert, verzweifelt brach der Brandenburger aus, was er denn mit einer Herrschaft solle, die überall so geengt, gepreßt, gehemmt sei. Voll und bieder schaute ihm der Kaiser in die Augen: »Hab du den Mantel erst an! Ist er dann zu lang, kannst du ihn ja abschneiden

Nach Lichtmeß, in hohem Winter, unter einem leuchtenden, hellblauen Himmel, fuhr, ritt der klingelnde, prächtige Zug der Wittelsbacher durch die grellweißen Berge nach Schloß Tirol. Schnee knirschte, Rüstungen klirrten, Gehänge, Gold und Silber läuteten. Weich in der dämpfenden Schneeluft ging der riesige, bunte Zug, Pferde, Saumtiere, Sänften, Menschen. Der Kaiser, in strahlender Laune, sein Sohn Ludwig, der Markgraf, der Brandenburger, mißmutig, zögernd, aber halb schon durch die Größe und Vielgestaltigkeit des Landes gelockt, sein junger Bruder Stephan. Der Herzog Konrad von Teck, der reiche schwäbische Herr, der intimste Freund des Brandenburgers, finster, fanatisch, ein wilder Arbeiter, ein unbedingter Anhänger der Wittelsbacher. Die tirolischen Barone. Zahllose bayrische, schwäbische, flandrische, brandenburgische Edle. Die Bischöfe von Freising, Regensburg, Augsburg. Die beiden großen Theologen, die der Kaiser an seinen Hof gezogen hatte, Wilhelm von Okkam und Marsilius von Padua.

Der Kaiser hielt während der ganzen Reise vor allem diese geistlichen Herren in seiner Nähe. Die Nachricht von der beabsichtigten Vermählung des Brandenburgers mit Margarete hatte ganz Europa skandalisiert.

Nicht nur, daß Margarete die Frau eines andern war, sie war auch von ihrer Großmutter Elisabeth her mit dem Brandenburger im dritten Grade verwandt. Der Papst dachte nicht daran, die Herzogin von diesem Ehehindernis zu lösen, hatte vielmehr sogleich mit Bann und Interdikt gedroht. Ängstlich hörte, tief beunruhigt, die Bevölkerung diese Drohung. Der Kaiser war aber durchaus nicht willens, vor der Kurie zurückzuweichen. Er stellte dem Papst seine Theologen entgegen. Der Kaiser selbst war ohne viel Bildung, sprach nicht einmal Latein; aber er hatte eine tiefe, abgründige Ehrfurcht vor der Gelehrsamkeit. Er bedauerte aufrichtig, daß seine Bayern so dumpf und stumpf waren, sich zum Studium so gar nicht eigneten. Ach, überall in der Welt fanden die großen Gelehrten, die er an seinen Hof gezogen, Wilhelm von Okkam und Marsilius von Padua, Widerhall, nur nicht in seinem Bayern.

Er war fromm, er hatte Gewissen, er verehrte die weisen Herren von Herzen, glaubte an sie, war überzeugt von ihrem Wissen um Gott. Er hatte also an seine Theologen, sie aus seinen riesigen blauen Augen anstarrend, die Frage gerichtet, ob die Einwände des Papstes zu Recht bestünden. Marsilius und Wilhelm hatten ein Gutachten ausgearbeitet, die Ehe Margaretes mit Johann dem Luxemburger sei infolge Untauglichkeit des Gatten nie de facto vollzogen worden, sie bestehe also nicht, sei ungültig. Daraufhin hatte sich, vom Kaiser dringlich gebeten, der Bischof von Freising, Ludwig von Chamstein, bereit erklärt, die Ehescheidung zwischen Margarete und Johann auszusprechen. Aus diesem Grund also zogen die bayrischen Bischöfe mit über die Alpen. Ihre Mission kam ihnen sehr gefährlich, sie selber sich sehr kühn und wichtig vor. Sie hatten gespannte Gesichter, schwitzten.

Der Brandenburger ritt neben Konrad von Teck.

Mehr und mehr interessierte ihn das Land, das Technische der Verwaltung. Leidenschaftlicher Nationalökonom, der er war, hatte er keinen Blick für die Gegend, die Sonderart der Menschen, sprach mit seiner harten, hellen Stimme nur von Ackerbauflächen, Siedlungsmöglichkeiten, Handelsstraßen, Bezirkseinteilung, Steuermethoden. Ob Brandenburg, ob Tirol – ihm war das Land nichts anderes als Verwaltungsgegenstand. Hier war überall Verrottung, Schlamperei.

Er wird mit harter, tüchtiger, wohlmeinender Hand zupacken.

Herr von Schenna ritt neben Wilhelm von Okkam.

Der kluge, weltkundige, gelehrte Theologe fesselte ihn.

Er hatte an der Universität Paris doziert, war kein blasser Theoretiker, sah die Zusammenhänge von Westen nach Osten. Vor ihnen – die Straße stieg sacht an – hob sich hoch der wuchtige Rücken, der starke Nacken des Kaisers. Die beiden Herren sprachen über ihn. Der Theolog, nicht ohne eine gewisse Leidenschaftlichkeit, rühmte die ideellen Neigungen des Kaisers, seine Ehrfurcht vor der Bildung, den heiteren Ausbau der Stadt München, die Stiftung des Ritterordens von Ettal nach dem Muster des Wolframschen Parzival. Der schärfere Herr von Schenna aber wollte das nicht gelten lassen, er sah in dem Wittelsbacher einen viel moderneren Typ. Der Kaiser liebte die Städte mehr als die Burgen, den Kaufmann mehr als den Kriegsmann, Verträge mehr als Schlachten, sah auf Nutzen mehr als auf Ritterlichkeit. Gewiß hatte er noch romantische Anwandlungen; aber die waren Tradition, nicht Ausdruck seines wahren Wesens. König Johann, der Luxemburger, der war bei aller Wandelbarkeit viel konservativer, war ein Ritter alten Schlages, ein Abenteurer. Der Kaiser hingegen glich vielmehr den Stadtbürgern, war ein Mann von heut, ein Rechner. Darum auch werde der Luxemburger zwar mehr packen, aber weniger festhalten können, und auf die Dauer werde der Kaiser triumphieren; denn er sei ein Kind seiner Zeit. Der Theolog hörte den klugen, richtigen und literarischen Ausführungen nachdenklich und widerstrebend zu.

Sie sahen den breiten, wuchtigen Rücken des Wittelsbachers vor sich. Sie dachten beide, was keiner sprach: er wird immer nach seinem Nutzen handeln und nur nach ihm, wird immer bieder und aus großen Augen sich, die andern, die Welt betrachten, wird immer, ehrlich und überzeugt, Gerechtigkeit, Moral, Gottes Willen gleichsetzen mit seinem Nutzen.

Man nächtigte in Sterzing, klomm andern Tages in klarer, schneidender, fröhlicher Kälte den Jaufenpaß hinan. Man hatte schon die Höhe hinter sich, stieg ins Passeier. Da strauchelte das Pferd des Bischofs von Freising, scheute, warf den Reiter vornüber ab. Der Bischof flog sehr unglücklich gegen einen Felsen, brach den Hals. Da lag er, der kleine, bewegliche Mann, auf dem gefrorenen Schnee unter dem fröhlichen, hellen Himmel. Er hatte gegen den Kandidaten des Papstes den Bischofsstuhl von Freising besetzt, er hatte gegen den Willen des Papstes das heilige Sakrament der Ehe brechen wollen; jetzt lag er gelb und steif und tot. Der bunte, laute, klingelnde Zug stockte. »Gottesgericht!«

raunte es; übergraust standen die Herren um die Leiche. Man schlug den Toten in Decken, führte ihn auf einer Bahre mit nach Meran. Sehr still gelangte der kleine, wichtige Herr in die Stadt, wo er die kühne, gefährliche Tat seines Lebens hatte tun wollen. Die erschreckten Bischöfe von Augsburg und Regensburg weigerten sich den Bitten des Kaisers, daß nun sie Margaretes erste Ehe lösen sollten.

Gleichwohl brach des Kaisers gute Laune wieder durch, als er in das Schloß Tirol einzog. Avignon war weit, mochte Benedikt ohnmächtige Flüche gegen ihn schicken. Das waren Worte: er hatte das Land. Wo war ein Fürst der Christenheit mächtig wie er? Er hatte beide Bayern vereinigt, er hatte Brandenburg, hatte sichere Anwartschaft auf Holland, Friesland, Seeland, Hennegau. Jetzt das Land in den Bergen dazu, das schöne, alte, reiche, berühmte Land. Dahinter lag Italien, zerrissen, machtlos. Er hatte es, nun er die Höhen der Alpen beherrschte, fest in der Hand. Schönes Schloß Tirol! Gutes, festes Schloß Tirol!

Erstaunt hörten die Herren im Vorzimmer, wie der Kaiser innen mit heller, lauter Stimme sang. »Er singt Lieder wie König David vor der Bundeslade sagte der Bischof von Augsburg. Der Kaiser aber, in seinem Gemach, allein, schaute in das weiße, helle Land, schlug sich auf die Schenkel, sang kleine, lustige, derbe Trutzlieder, wie man sie in den Kneipen seiner bayrischen Dörfer sang.

Zwei Tage später vollzog der Kaiser selber die Vermählung des Markgrafen Ludwig mit der Herzogin Margarete. Zum großen Ärgernis des Landes und ganz Europas. Wieder den Tag darauf belehnte er in der Stadt Meran die Neuvermählten mit Kärnten und Tirol. Er war angetan mit dem kaiserlichen Ornat. Konrad von Teck hielt das Reichsschwert, Arnold von Maßenhausen das Zepter, Herr von Krauß den Reichsapfel. Margarete strotzte von Prunk, steif, übersät mit Edelsteinen standen die schweren Kleider um sie herum, sie sah starr und reglos geradeaus.

Im Wiener Schloß saßen Albrecht der Lahme und Johann von Böhmen in langer Unterredung. Der Griff des Wittelsbachers nach Tirol hatte den Luxemburger und den Habsburger wieder ganz zusammengetrieben. Der Kaiser, dieser Schamlose, hatte nicht nur Tirol gestohlen, er hatte seinen Sohn auch mit Kärnten belehnt, in dem der Habsburger festsaß, das der Kaiser selber ihm hatte erobern helfen. Weniger über die Frechheit als über solche Torheit des Wittelsbachers waren die Fürsten erstaunt und empört.

Albrecht hatte alle Vorsorge getroffen, sein Kärnten gut zu verteidigen. Der gelähmte Fürst hatte noch einmal, nun auch er, die umständlichen, ihm doppelt beschwerlichen Zeremonien der Kärntner Thronübernahme auf sich genommen; es lag ihm daran, nur ja seine Volkstümlichkeit zu sichern.

Der blinde Luxemburger hatte mehr Phantasie und weiterschauende Pläne. Dieses Tirol, die schönste Frucht, die der dreiste, plumpe Wittelsbacher sich gepflückt, trug den Wurm in sich. Der lahme, in Kleidung und Frisur etwas verwahrloste Albrecht sah mit Interesse, mit einer leisen, widerstrebenden Bewunderung auf den blinden König, der straff, elegant und sehr gepflegt vor ihm saß und leicht und behutsam seine blauen, kühnen Pläne andeutete. Nein, der Kaiser wird an seinem neuen Land nicht viel Freude haben.

Er, Johann, ist im Grund verträglich. Er trat bisher Ludwig entgegen, wenn er mußte, wenn es sein Nutzen verlangte, aber ohne Haß und Leidenschaft. Von nun an wird es anders sein. Er ist randvoll von Ekel und Zorn über diesen letzten plumpen, schoflen Streich, über solche dumm anmaßliche, vor sich und andern heuchelnde Habgier und Frechheit. Der Grimm des Ritters und Abenteurers gegen den Kleinbürger brannte auf.

Der neue Papst, der sechste Klemens, kein Theoretiker wie der verstorbene Benedikt, nein, ein weltkundiger, glänzender Fürst und Herr und Politiker, ist ihm und seinem Sohn Karl eng befreundet, der Lehrer und nächste Vertraute seines Karl. Die Vermählung des Brandenburgers hat dem Kaiser überall Unwillen erregt. Wenn jetzt der neue Papst von allen Kanzeln Bann und Interdikt gegen den Kaiser verkünden läßt, wird solche Verfluchung nicht als Politik aufgefaßt werden, sondern bei aller Christenheit Billigung und herzlichen Beifall finden. Kurfürsten, Städte, Volk werden dem Wittelsbacher sich weigern, haben ihm schon ihre Gefolgschaft aufgesagt. Wenn dann mit Unterstützung Avignons sein Sohn Karl zum Römischen König erwählt wird, kann er, Johann, ihm eine unüberwindliche Liga gegen Ludwig schaffen.

Albrecht rieb sich mechanisch das schlechtrasierte Gesicht, hörte besonnen den Ausführungen des andern zu. Dies waren Pläne, die solider gegründet waren als gewöhnlich die Pläne des Luxemburgers; aber sie bedeuteten Angriff, unvermeidlichen Kampf. Er, Albrecht, war nicht willens, sich hineinzumengen. Er war nicht mehr jung, war gewitzt, zog das Schwert nur im äußersten Fall.

So saßen sie beisammen, die beiden mächtigen Fürsten, die mehr als die Hälfte Mitteleuropas regierten; der Blinde zerrte an dem Lahmen, aber er konnte ihm nur ein Defensivbündnis abringen.

Dann, als die Unterhandlung zu Ende war, reckte sich Johann, erhob sich, um zu gehen, tastete sich, der Blinde, an der Wand entlang, fand aber die Türe nicht.

Albrecht konnte ihm zwar sagen, wo sie sei, vermochte aber, der Lahme, dem Tappenden nicht zu Hilfe zu kommen. Da lachten sie beide lang und herzhaft, bis endlich einer aus dem Gefolge draußen die Tür öffnete.

Schlimmes Unglück brach über das Land in den Bergen herein, die Strafe Gottes, weil die Herzogin das Sakrament der Ehe so grob verletzt hatte. »Die Plagen Ägyptens schrien die Anhänger des Papstes durch ganz Europa. »Die Plagen Ägyptens erblaßte das Volk, seufzte, schlug sich die Brust, fastete.

Zuerst taten zu erneuter Bestrafung der Sünden der Menschen die Schleusen des Himmels sich auf, eine zweite Sintflut.

»Wehe! Der Wassermann ergießt deukalionischen Regen«, zitierte der Abt Johannes von Viktring einen alten Lateiner. Als hätten sämtliche Flüsse Europas sich über das Land ergossen, wurden Bäume, Wiesen, Dörfer, Menschen von Grund auf weggerissen, der Inn führte Brücken, Türme, Häuser mit sich, das untere Etschland glich einem See, von Neumarkt fuhr man zu Schiff nach den unter Tramin gelegenen Gütern.

Im gleichen Jahr rasch nacheinander vernichteten wilde Feuersbrünste die Städte Meran, Innsbruck, Neumarkt.

Aber das Grauenvollste und Seltsamste, was das Volk erstarren ließ, waren die riesigen Heuschreckenschwärme, die in diesem Sommer das Land verheerten. Sie kamen von Osten.

Nachdem sie Ungarn, Polen, Böhmen, Mähren, Österreich, Bayern, die Lombardei kahl gefressen hatten, lagerten sie sich über dem blühenden Tirol. Man sah die Sonne nicht, so dicht flogen sie. Sie flogen bei Tag und bei Nacht, und doch brauchten sie siebenundzwanzig Tage die Etschufer hinab.

Das erschreckte Volk schleppte in Prozessionen die Heiligenbilder, betete, streckte die Hände zum Himmel. Der Pfarrer von Kaltern ließ das Geziefer durch ein förmliches Rechtserkenntnis von Geschworenen verurteilen, bannte es von der Kanzel herab. Es waren riesige Tiere, sie hatten Zähne wie leuchtende, edle Steine, so daß die Frauen ihre Gewänder damit besetzten. Die Schwärme, die die Inngegenden verheerten, waren zwiefach merkwürdig. Die Führer flogen mit wenigen anderen dem Heer um eine Tagesreise voraus, suchten die Orte, die der Masse des Schwarmes geeignet waren. In Geschwadern brachen sie wieder auf, mit militärischer Disziplin. Sie fraßen Busch und Baum, sie fraßen alles Grün, sie fraßen den Halm, das Korn, die Hirse, Stumpf und Stiel. Die Erde war schwarz und grau und wie ausgedorrt, wenn sie endlich fortzogen.

*

Die Herzogin Margarete fuhr über den Arlberg. In Sankt Anton stand unter dem gaffenden Volk ein Mädchen von elf, zwölf Jahren mit seiner Mutter. Wie der Zug vorbeikam, rief eifrig, wichtig das Kind: »Mutter! Mutter! Welche ist die gnädige Frau Herzogin? Die Lange, Dürre oder die andere, die Maultasch?«

Die Mutter, eine derbe, wackere, behagliche, junge Frau, grinste, wurde rot, schlug nach dem Kind: »Wirst du den Brotladen halten, Saufratz

Die Leute ringsum lachten, das Kind plärrte, das Wort wurde aufgenommen. Es flog durch das Land, flog weiter, bald nannte alle Christenheit die häßliche Herzogin nur mehr die Maultasche. Margarete hörte davon, trug den Beinamen mit einer gewissen stillen, bitteren Absichtlichkeit. Wie sollte ihr neues Schloß heißen? Bruneck? Neugrafenburg? Sie nannte es Schloß Maultasch.

Markgraf Ludwig saß zusammen mit seinem Freund, dem Herzog Konrad von Teck, über Rechnungen und Belegen. Der junge, straffe Markgraf stellte nüchtern, klar Ziffern und Tatsachen zusammen; der massige, soldatische, etwas ältere Herzog von Teck hörte aufmerksam zu. Er war in Rüstung, unbeweglich, während der Markgraf bei aller Sachlichkeit sich nicht enthalten konnte, auf den Tisch zu schlagen, auf die raschelnden Papiere.

Sein festes, mageres Gesicht, harte, glanzlose, blaue Augen, bräunliche, verwitterte Haut, etwas spärliches, blondes Haar, gegen die Mode kurzer, blonder Schnurrbart, war böse und sehr erregt. Er hatte die Tiroler Barone immer für tückische, betrügerische Raffer gehalten. Doch daß sie auch unter seinem Regiment so frechen, offenkundigen Unterschleif wagen würden, daß sie bieder und traulich nicht etwa die Hälfte, sondern neun Zehntel seiner Einkünfte in ihre Tasche steckten und sich in ihren Schlußrechnungen kaum bemühten, das zu verschleiern, das war denn doch ein Gipfel frecher Habsucht, den er nicht erwartet.

Der junge Fürst liebte sachliches, rasches, sauberes Arbeiten. So hatte er sich in Brandenburg bewährt; es war dem Land gut bekommen. Hier in Tirol fand er überall Schlamperei, die ganze Verwaltung war ein Ungefähr, alle Grenzen und Befugnisse verwischt, Betrug und Unterschleif üppig in Schuß und Wucher.

Dabei hatten die Barone gut vorgesorgt. Amnestie für ihre Verwaltungssünden war ihnen zugesichert, auch konnten sie fürderhin nur durch Einheimische kontrolliert werden, und da sie alle versippt waren, blieb solche Kontrolle Formsache.

Der massige, bartlose, soldatische Konrad von Teck ließ den Markgrafen zu Ende reden. Dann sagte er: »Durchgreifen! Verträge, Amnestie: einen Schmarren!

Pack einen von ihnen am Kopf. Laß die andern reklamieren, protestieren! Wenn sie sehen, es nützt nichts, werden sie rasch kirre

Mit einem halben Lächeln schob der Markgraf dem Freund ein Schriftstück hin: einen Haftbefehl für Volkmar von Burgstall. Aber er war nicht unterzeichnet. »Mein Vater täte es bestimmt nicht«, sagte er. »Es kann verteufelt schiefgehen. Ich hab keine Rückendeckung

Konrad von Teck schaute ihn aus seinen stumpfen, braunen Augen an, sagte knarrend: »Schaff dir Rückendeckung

Ludwig gab den Blick zurück, schellte, befahl: »Die Frau Herzogin

Bis Margarete kam, schwiegen die beiden Männer.

Ludwig hatte keine Heimlichkeit vor dem Freund; so wußte der genau, wie es zwischen ihm und Margarete stand. Es stand aber so, daß aus Mißtrauen und Abneigung langsam eine kühle, geschäftsmäßige, wohlwollende Kameradschaftlichkeit gewachsen war. Margarete war ruhig, klug, nicht zudringlich, gab und verlangte keine Sentimentalität. Dies war dem Wittelsbacher sehr recht; seine saubere, straffe, nüchterne Art war die einzige an einem Manne, die Margarete in diesen Jahren nicht reizte. An ihre seltsame Erstarrung und Verkrustung gewöhnte er sich langsam ebenso wie an ihre Häßlichkeit, und es geschah ohne jeden verächtlichen Unterton, wenn er etwa im Gespräch mit Konrad ebenso wie das ganze Land Margarete die Maultasche nannte.

Es dauerte eine ziemliche Weile, bis sie kam. Denn nie erschien sie anders als in herzoglichem Prunk. Sie trug ein Kleid aus schwerem, braunem Stoff, mit vielem Gold besetzt, das Gesicht maskenhaft steif von Schminke und Puder, auch die Hände geschminkt, Der Markgraf legte ihr die Dokumente vor, wies in kurzen Worten darauf hin, wie lückenlos vor allem das Material gegen Volkmar von Burgstall sei. Margarete sah vor sich den dumpfen, dröhnenden, wuchtigen Volkmar, die nackte, brutale Gier seines Gesichts. Er hatte mit seiner plumpen, grausamen Hand zugeschlagen, wo er konnte, er hatte im Kampf gegen die Luxemburger den jungen Rottenburg, den lustigen, harmlosen Albert vorgeschickt und sich selber feig, schwer, tückisch in den kellerigen, widerwärtigen Winkeln seiner Burg versteckt. Ihr Gesicht unter der Schminke blieb steif und ohne Ausdruck. »Verhaften Sie ihn sagte sie.

Selbst der starre Konrad von Teck sah überrascht auf. »Sie sind eine tapfere Dame, Frau Herzogin sagte er.

»Nachdem das Ihr Rat ist, Margarete«, sagte der Brandenburger, »werden sich Ihre Landsleute wohl beruhigen müssen, wenn ich ihn befolge Er bat, auch sie möge den Verhaftsbefehl unterzeichnen. Sie tat es.

Der Burggraf Volkmar wurde verhaftet, prozessiert.

Solches Vorgehen gegen den ersten Aristokraten des Landes machte ungeheures Aufsehen. Die Barone, zitternd jeder für sich selbst, schlossen sich zusammen; vom Süden her wühlte Bischof Nikolaus von Trient, von Westen der Bischof von Chur. Konrad von Teck, dem der Gefangene unterstellt war, wich keinen Schritt. Anklage, Vermögenskonfiskation, Verhör, Tortur. Zum Urteil kam es nicht. Der Burggraf starb vorher, im Kerker, unversehens. Das Land raunte, übergraust, wollte sich empören, wagte es nicht, duckte sich, schwieg.

Margarete saß am Putztisch, als sie die Nachricht von dem plötzlichen Tod Volkmars erhielt. Das Fräulein von Rottenburg, das ihr Haar kämmte, schnaufte, zitterte, ließ den Kamm fallen. »Mach doch weiter

sagte Margarete, und ihre volle, dunkle Stimme war gleichmütig und ohne Schwanken.

Die Herzogin schaute von der Loggia der Burg Schenna aus in das besonnte Land. Jakob von Schenna saß ihr gegenüber. Zu ihren Häupten an den Wänden schritten die bunten Ritter.

Es tat wohl, die müde, gescheite Stimme Schennas zu hören. Seine hellen, klugen, reinlichen, phrasenlosen Sätze waren wie ein laues Bad. Der Markgraf hatte ihn in seine Dienste ziehen wollen. Doch Herr von Schenna hatte die diplomatischen Würden, die goldenen Ehrenketten seinen Brüdern Petermann und Estlein überlassen, er selber war wohl bereit zu raten; doch ein Amt nahm er nicht an.

Er sprach vom Markgrafen, wie häufig. »Nein«, sagte er, auf die gemalten Ritter weisend, »von diesen hat er nichts. Wenn er einen Wald sieht, denkt er nicht an ein Ungeheuer, das darin sein könnte, auch nicht an eine Dame, die ein Riese hütet und die zu befreien wäre. Er überlegt, wie groß der Holzwert des Waldes ist, ob es lohnt, das Holz in die nächste Stadt zu schaffen, dort den Wohnungsbau zu fördern. Die Zwerge hat der Markgraf nie gesehen; sie werden auch nicht zurückkehren, solange er regiert. Auch wird er mit König Johann nie konkurrieren. Es wird ihm nichts daran liegen, achtzehn oder zwanzig Turniersiege im Jahr zu behaupten, die modischste Rüstung zu haben, möglichst oft in Paris zu sein. Aber darauf sehen wird er, daß sein Name selten in der Korrespondenz des Messer Artese aus Florenz vorkommt, daß die Kaufleute ihre Transporte in Sicherheit führen können, daß in den Städten feste, redliche Behörden sitzen.«

Margarete schwieg. Ähnliches hatte Schenna schon oft geäußert. Es fiel ihr auf, daß früher die gleichen Dinge in seinem Munde ironisch geklungen hatten, ablehnend, während er jetzt fast mit Anerkennung von diesen bürgerlichen Eigenschaften des Fürsten sprach.

Herr von Schenna blieb bei seinem Lieblingsthema.

Die alte Zeit war vorbei. Rittertum und Rittersitte war wohlfeil geworden und Attrappe. Man konnte nicht mehr so einfach und geradezu in die Welt hinausziehen und darauflosschlagen; gleich kam die Polizei. Mit Abenteuern war jetzt, in dieser farbloseren Zeit, weder Ehre noch Besitz zu holen. Es war vielleicht schöner gewesen früher, bunter, ehrlicher. Aber die Welt war verwickelter geworden. An Stelle der Burg trat die Stadt, an Stelle des kräftigen einzelnen die Organisation. Wenn der fahrende Ritter Herberge verlangte, Speis und Trank, forderte man von ihm – Gotts Marter! – Bezahlung. Nicht ihm gehörte die Zukunft, sondern dem Bürger, nicht der Waffe, sondern der Ware, dem Geld. Mochten Herren wie König Johann noch so herrlich herfahren über die Erde; was sie taten, blieb ohne Bestand. Bestand hatte das kleine, langsame, sorgfältige, rechenhafte Gewerk der Städte; sie bauten winzig, sie bauten ängstlich, aber sie bauten Zelle an Zelle, schichteten Stein um Stein, unablässig.

Margarete war überzeugt von der Richtigkeit solcher Grundsätze. Hatte sie es nicht an sich selber tief und grauenvoll erlebt? Was war Liebe? Was waren Abenteuer? Das höhlte einen aus, zerrieb, machte wund und leer. Gedanken, die sie früher schon gedacht, setzten sich tiefer, wurden wesenhaft, mischten sich ihr ins Blut. Ihre Häßlichkeit war Geschenk, der Wegweiser, mit dem Gott ihr den rechten Weg zeigte.

Rittertum, Abenteuer, das war bunter Schaum und Schein. Ihr Amt war, in die Zukunft zu bauen. Städte, Handel und Handwerk, gute Straßen, Ordnung und Gesetz. Ihr Amt waren nicht Feste und Fahrten und Liebe; ihr Amt war nüchterne, ruhvolle Politik.

Sehr kam solchen Grundsätzen das Wesen des Markgrafen entgegen. Sie erkannte genau, wußte, spürte, wie eng und pedantisch er war. Aber sie achtete seine Tüchtigkeit und Verlässigkeit, gewöhnte sich daran als an etwas Freundhaftes, schwer zu Entbehrendes. Die Gatten waren viel zusammen, aßen zusammen, schliefen zusammen. Arbeiteten zusammen. Gutes Einverständnis war von ihm zu ihr. Ihre Gedanken schmiegten sich ineinander. Margarete regte an; aber so unmerklich, daß nicht zu unterscheiden war: wer war Führer, wer geführt? Oft, im Gespräch mit Konrad von Teck, sagte der Markgraf anerkennend: »Ja, meine Frau, die Maultasche Bei alledem blieb Margarete im Innersten zugesperrt, ihre Umkrustung war nicht zu durchbrechen, es blieb bei einer freilich großen und ehrlichen Höflichkeit.

Im zweiten Jahr ihrer Ehe wurde Margarete schwanger. Ihr Wesen wurde gelöster dadurch, ihre volle, dunkle Stimme klang wärmer; aber jene Fremdheit und Starrheit fiel nie ganz von ihr ab. Sie blieb frei von heftigen, überschwenglichen Begierden, gleichmäßig, ohne stärkeres Gefühl. Sie sah, daß das Kind, ein Mädchen, weder schön noch häßlich war. Es hatte die harte, eckige Stirn des Vaters und, Gott sei Dank, seinen, nicht ihren Mund. Sie betreute das Kind sorglich, mütterlich, pflichtbewußt, ohne Herzlichkeit.

Der Papst zog den Arm des jungen Markgrafen Karl von Mähren-Luxemburg in den seinen, führte den Fürsten, eifrig auf ihn einredend, in dem behaglichen Zimmer auf und ab. Draußen, über der weißen Stadt Avignon, brannte helle, starke Sonne. Im päpstlichen Palast war es angenehm dämmerig, nicht zu heiß. Der sechste Klemens, dunkles, starkes, sehr repräsentatives Gesicht, die Konturen gehoben durch die bläulichen Schatten des Rasierens, hatte ein zärtliches, pflegliches Gefühl für den jungen Fürsten, seinen lieben, verständnisvollen, empfänglichen Zögling. Der hatte ihm die Tiara, er jenem die römische Kaiserkrone vorausgesagt.

Ja, und nun war es an dem. Der Wittelsbacher, der tölpische Bär, hatte zu gierig nach jeder Beute getappt.

An dem letzten, übergroßen Bissen, an Tirol, sollte er erwürgen und ersticken. Mochten die Kurfürsten, die Städte des Römischen Reichs sich noch so vorsichtig und unbehaglich gegen die Kontrolle der Kurie sperren; der üble Geruch, der von den tirolischen Händeln ausging, stank allen so in die Nase, daß sie an der Person dieses Usurpators Ludwig von Bayern doch wohl nicht festhalten konnten. Ja, jetzt kam er angekrochen, der Wittelsbacher. Demütig winselte er vor dem päpstlichen Stuhl, erkannte das lange Verzeichnis seiner Verbrechen an, bot Unterschrift und Unterwerfung.

Klemens lächelte, faßte seinen jungen Schüler fester um die Schulter. Der Bayer kam zu spät. Schon hatte er, Klemens, in feierlichem Konsistorium den großen Kirchenbann über ihn ausgesprochen, schon das Kurfürstenkollegium aufgefordert, zur Wahl eines neuen Königs zu schreiten. Wenn morgen sein lieber Schüler Karl von Luxemburg an den Rhein fährt, nach Rhense, zur Wahl, kann er die Gewißheit mitnehmen: der Papst hat alles getan, durch Segen und Verdammung, seine Prophezeiung von der Kaiserkrone wahr zu machen.

Wenige Tage später gab denn auch die Majorität der Kurfürsten dem Luxemburger ihre Stimmen. Von den fünf Fürsten, die für ihn stimmten, war der erste sein Vater, der zweite sein Oheim, der dritte ein Erzbischof ohne Stift und Land, der vierte und fünfte durch viel Gold erkauft.

Karl, nachdem ihm der Vorsitzende des Kollegiums, der Erzbischof Balduin von Trier, das Ergebnis der Wahl verkündet hatte, nahm die Umarmung seines Vaters, die Glückwünsche der Kurfürsten entgegen.

Sandte einen Eilkurier an den Papst. Dann, allein, breitete der lange, hagere Mann die Arme, atmete. Erwählter Deutscher König, Römischer Kaiser bald. Er war nicht wie sein Vater, der Blinde, der Ritter. Er wird nicht glänzen, alles, wie er es an sich gerafft, verstreuen. Er wird haben, halten, besitzen. Er war aber auch nicht wie der Bayer, der Langsame, Pedantische, Bürgerliche. Burg und Stadt, das war es, Militär und Verwaltung. Nicht Territorien allein erraffen, was ist das groß? Sie beackern, sie durchkneten. Kirche, Kunst, Wissenschaft, Städtebau. Sammeln, häufen, pflegen.

Alles sammeln und pflegen: Länder, Städte, Titel, Schlösser, Gelehrte, Reliquien, Kunstdinge. War er eitel? War er habgierig? Nein, dies war wohldurchdachte, wohlerkannte Fürstenpflicht. Der hagere, sehnige Herr setzte sich an den Schreibtisch. Notierte sich Richtlinien, entwarf ein Schema, einen Kanon seiner Regierung. Disponierte wissenschaftlich Tugenden, Erfordernisse, Pläne. Teilte sie ein: Ziffer eins, zwei, drei. Arbeitete viele Stunden, tief in die Nacht hinein.

Überlas das Geschriebene. Stak in all dem nicht doch ein bißchen Eitelkeit? Er war fromm, Eitelkeit war Sünde. Er wird büßen. Er sammelte leidenschaftlich Reliquien: Dornen aus der Krone Christi, Kleider, Schädel, Arme von Heiligen. Aus Pavia hat man ihm die Überreste des heiligen Veit angeboten. Der Heilige war viel zu teuer. Er wird, zur Buße, diese Reliquien trotz der Übervorteilung erstehen.

Vor Margarete stand ein kleiner, fetter, zappeliger Mensch, war sehr unterwürfig, sprach gaumig glucksend. Nannte sich Mendel Hirsch. War Jude. War während der Verfolgungen durch die Brüder Armleder aus dem Bayrischen nach Regensburg geflohen, dort von der Bürgerschaft geschützt worden. War aus den hundertundsiebenundzwanzig Gemeinden, in denen damals die Juden erschlagen worden waren, einer der wenigen Entkommenen. Jetzt hatte er einen Schutzbrief des Kaisers, vorsichtshalber auch einen des Gegenkönigs Karl.

Die Herzogin hatte niemals einen lebendigen Juden aus der Nähe gesehen. Aufmerksam, mißtrauisch, leicht angewidert, beschaute sie den dicken Mann, der in braunem Rock und spitzem Hut vor ihr herumagierte, rasch sprudelnd, gurgelnd, possierlich zappelnd. So also schauen die aus, die Hostien schändeten, unschuldige Kinder gräßlich marterten, das von Gott verfluchte Geschlecht, das Gott gemordet hat. Sie hat oft von den fremden, unheimlichen Menschen gehört, erst unlängst, anläßlich der letzten Judenmetzeleien, mit dem Abt Johannes von Viktring eingehend darüber gesprochen. Der hatte die Verfolgungen weder gutgeheißen noch sie mißbilligt. Es erfüllte sich eben an dem geschlagenen Volk die uralte Verwünschung, die es sich mit eigenen Lippen herabgeflucht: »Sein Blut über uns und unsere Kinder Der Abt zuckte die Achseln, zitierte einen antiken Klassiker: »Weh Unseligem mir! Viel fürcht ich, weil viel ich verbrochen

Margarete fand diese Lösung ein bißchen zu einfach.

Gewiß, ein Mann, der so eine Judenverfolgung anfachte, mochte aus Eifer für die Sache Gottes handeln. Vielleicht. Sicher war, daß er viel daran verdiente. Denn gab es ein probateres Mittel, den jüdischen Gläubiger loszuwerden, als ihn totzuschlagen? Warum, wenn es nützlich und gemäß war, sie zu vertilgen, setzten sich just die weisesten geistlichen und weltlichen Herrscher für sie ein? Die Gesetze des zweiten Hohenstaufenfriedrich, die Bullen des vierten Innozenz bewiesen eine sehr andere Auffassung als die ihres wackeren Abtes. Und der jetzt regierende Klemens – er war ihr Feind, aber verflucht gescheit –, warum stellte sich der so breit und schützend mit Bullen und strengen Gesetzen vor sie hin?

Sie schaute auf den kleinen Mann, der sich vor ihr abarbeitete. Er erzählte von dem Jämmerlichen, was er durchgemacht. Wie man seine Leute in ihre Bethäuser zusammengetrieben und verbrannt habe, andere in Säcke gesteckt, mit Steinen darin, und elendiglich im Rhein ersäuft, wie man sie verstümmelt, gemartert, erwürgt, Frauen vor den Augen ihrer angepflockten Männer geschändet, aufgespießte Kinder wie Fahnen aus den Fenstern brennender Häuser gehängt habe. Er erzählte das hastig, mit vielen saftigen Einzelzügen, gestikulierend, seine bunten, gurgelnden Worte überkugelten sich, er lächelte entschuldigend, anklagend, resignierend, streute spaßige Sätze in seine Erzählung, rief Gott an, strähnte nervös seinen mißfarbenen Bart, wiegte den Kopf. Die Herzogin hörte ihm schweigend zu; in einer Ecke hockte Herr von Schenna, in schlechter Haltung, betrachtete aufmerksam den kleinen, eifrigen, possierlichen Mann.

Mendel Hirsch bat, sich in Bozen niederlassen zu dürfen. Er war auf dem Weg nach Livorno zu Glaubensgenossen. Aber jetzt, beim Anblick der aufblühenden Städte und Märkte Tirols, war ihm beigefallen, hier sei besserer Boden, neuerer. »Transithandel, gnädigste Frau Herzogin sagte er. »Transithandel! Messen! Märkte! Hier führten die großen Straßen von der Lombardei nach Deutschland, von den slawischen Ländern in die romanischen. Warum sollten Trient, Bozen, Riva, Hall, Innsbruck, Sterzing, Meran schlechter sein als Augsburg, Straßburg Schon seien die Bischöfe von Brixen und Trient geneigt, Juden in Schutz und Privileg aufzunehmen. Er werde mit gnädiger fürstlicher Erlaubnis den Handel hier rasch hochbringen. Geld ins Land, viel Geld, großes Geld. Er verfüge über Kapital in beliebiger Höhe. Bediene kulanter als die Herren in Venedig und Florenz. Er werde Wein, Öl, Holz exportieren; Seide, Pelzwerk, Schwerter einführen, spanische Wolle, Juwelen, maurische Goldarbeit; aus dem slawischen Osten Felle, vor allem auch Sklaven. Die brauche man hierzulande nicht? Man habe genügend leibeigene Bauern? Nicht? Also nicht.

Aber Glas, das brauche man doch, sizilianisches Glas, er habe ausgezeichnete Verbindungen. Und gefärbtes Tuch brauche man auch. Und Zimt, Pfeffer, Gewürz.

Er werde schon machen. Man möge ihn nur machen lassen.

Margarete sagte, sie werde seine Bitte in Erwägung ziehen. Als er fort war, überlegte sie mit Schenna. Dem gefielen die Projekte des Juden sehr. Gewiß solle man ihn hereinlassen, ihn zu halten suchen. Das sei die neue Zeit, das bringe Leben ins Land. Beim Turnier freilich werde Herr Mendel Hirsch keine gute Figur machen, die Barone, wohl auch die Bürger, würden die Stirn runzeln. Aber just wegen dieser faulen Überheblichkeit solle man dem trägen Volk den raschen, beweglichen Mann in den Pelz setzen.

So kam also der Jude Mendel Hirsch nach Bozen. Er kam mit einem Gewimmel von Söhnen, Töchtern, Schwiegersöhnen, Schwiegertöchtern, Enkeln; auch drei Säuglinge waren dabei und eine uralte, mummelnde Großmutter. Das kribbelte mandeläugig, flinkfüßig, vielwortig durch die Straßen Bozens, beschaute die bunten, stattlichen Häuser, Mauern, Tore, Plätze, Menschen, schätzte ab, urteilte mit raschen, lauten Worten und Gesten.

Man kann nicht sagen, daß die Bozener Bürger den Juden Mendel Hirsch gerade begeistert aufgenommen hätten. Es bedurfte vielmehr erst der strengen Vermahnung des Markgrafen – der wie sein Vater, der Kaiser, die Juden als städteförderndes Volk schätzte und begünstigte –, bis sie ihm überhaupt nur Unterkunft gewährten. Und auch dann behandelten sie ihn denkbar grob und mißtrauisch, riefen die Kinder von den Straßen, wo er ging, wischten sich die Ärmel, wenn sie ihn angestreift, riefen ihm Schimpf-und Spottworte nach, bewarfen ihn hinterrücks mit Kot.

Der kleine, fette, bewegliche Mann tat, als sehe und höre er nichts, putzte sich ab, wenn man ihn besudelte, lächelte, strähnte sich den verfärbten Bart. Trieb man es zu arg, wiegte er den Kopf, machte: »Nu, nu Er blieb immer gleich unterwürfig, kam wieder, wenn man ihn davongejagt hatte. Kaufte sich ein Haus, noch eines, ein drittes. Waren kamen für ihn, stapelten sich, fremdartige, schöne, in einer Fülle, wie man sie nie gesehen, nicht zu teuer. Er kaufte, was man ihm anbot, prüfte rasch, sicher, hatte immer Geld, zahlte bar. Die eingesessenen Kaufleute machten scheele Gesichter, die übrigen Bürger gewöhnten sich an den Juden, schimpften wohl noch, aber mehr aus Gewohnheit, ohne Überzeugung.

Wenn Mendel Hirsch besonders schöne neue Waren hatte, Tücher, Pelze, Juwelen, brachte er sie zuerst der Herzogin und Herrn von Schenna. Beide unterhielten sich gern mit dem flinken, weltbefahrenen Mann, der Wege, Waren, Menschen, Zusammenhänge gut kannte und aus sehr anderem, ungewohntem Gesichtswinkel sah. Er schnitt, kam man ihm in ernsthaftem Gespräch mit großen Worten, ein bitteres Gesicht; für Ritterlichkeit, Turnier, Fahnen und dergleichen Dinge hatte er eine gutmütige, schmunzelnde Verachtung, die Schenna ergriff und erheiterte. Er sagte: »Wozu immer klirren und recht haben? Ein bißchen Billigkeit, und allen ist geholfen Er wurde nervös und ängstlich vor Lanzen, Spießen, Rüstungen. Einmal, als er bei der Herzogin angesagt war, kam er nicht, weil viel Kriegsvolk unterwegs war. »Er ist feig«, sagte Margarete.

»Gewiß«, sagte Herr von Schenna. »Mit einem Schwert tut er höchstens sich selber weh. Aber er geht allein und ohne Waffen herum unter einem Volk, das ihn anhaßt, und seine ganze Rüstung ist der Schutzbrief des Markgrafen

Margarete erfuhr, daß er Abend für Abend in seinen krausen, hebräischen Büchern las, seine Kinder darin unterrichtete. Sie hörte von seinen seltsamen Gebräuchen, Gebetmantel, Gebetriemen, anderer Kost. Sie fragte ihn nach Einzelheiten. Er wich höflich und entschieden aus. Dies gefiel Margarete. Er war häßlich und besonders. Er war umkrustet. Sie war die Maultasch, er der Jud.

Allmählich kamen mehr Juden ins Land. Nach Innsbruck, Hall, Meran, Brixen, Trient, Rovereto. Alle mit vielen mandeläugigen Kindern. An die zwanzig Familien. Geld floß herein, die Städte wurden größer, üppiger, die Straßen besser, neue, fremde Stoffe, Früchte, Gewürze, Waren drangen ein. Das Land in den Bergen lebte reicher, behaglicher.

Die Woche über trieben die Juden vom frühen Morgen bis in die tiefe Nacht hinein ihren Handel. Kein Geschäft war ihnen zu gering, sie warteten stundenlang, unermüdlich, für jeden. Sie nahmen alle Demütigungen hin, bückten sich, wehrten sich nicht, trat man nach ihnen, spie man sie an. Aber am Freitagabend schlossen sie sich ein in ihren Häusern, waren ihren Sabbat über für niemand, auch für den größten Herrn nicht und für den wichtigsten Handel nicht, zu sprechen. Das Volk stand vor ihren versperrten Türen, drohend: »Da treiben sie ihre Hexerei und verfluchte Hantierung. Zauberwerk, ruchlose, gottverdammte Kunst.« Doch die Juden ließen sich die Drohungen nicht kümmern, hielten Türen und Fenster gut zu.

Mendel Hirsch pflegte an solchen Tagen viele festliche Lichter anzuzünden, den braunen Rock und den spitzen Hut mit schönen Kleidern aus alten Stoffen und prächtigen Mützen zu vertauschen, auch seine Frau, seine Töchter und Schwiegertöchter zogen sich prächtig an. Dann sang er mit seiner häßlichen, gaumigen Stimme Psalmen und Gebete, und seine Kinder sangen mit. Er ging und saß in seiner Wohnung herum, aß gut, trank gut, freute sich seiner Kinder und seines Reichtums. Las einen Abschnitt aus der Schrift vor, begleitete ihn mit kunstvollen Auslegungen, bezog ihn auf Ereignisse des Tages. Das Haus strahlte geschmückt, duftete von kostbaren Essenzen. Er legte den Kindern die Hand aufs Haupt, segnete sie, daß sie werden möchten wie Manasse und Ephraim. Er ging behäbig herum in seinem Haus, strähnte sich den Bart, wiegte sich, sagte: »Am Sabbat sind alle Kinder Israels Fürstenkinder

Der Markgraf sagte zu Margarete: »Es war gut, daß man die Juden ins Land gesetzt hat. Sie bringen Geld herein, Bewegung, treiben an. Aber es hat schon seinen guten Grund, daß das Volk sie nicht riechen mag.

Da lebt so was wie dieser Jud Mendel Hirsch. Hat keine Kirche, keine Spur Religion. Ist ärger als ein Heide und das liebe Vieh

Herr von Teck mit seiner knarrenden Stimme sagte: »Das widerwärtigste ist, daß so ein Mensch nicht den leisesten Sinn hat für Würde. Wie sich das bückt! Wie das hündisch kriecht! Gewanz! Lausepack!«

Margarete schwieg. »Er ist der Jud«, dachte sie, »ich bin die Maultasch

*

Der blinde König Johann saß in der kahlen, niedrigen Bauernstube, sein Friseur kämmte ihm Haar und Bart.

Der gestrige Tag war drückend heiß gewesen, aber jetzt kam, von Nordwest her, ein frischer Wind. Es war halb vier Uhr morgens, die Sonne war noch nicht da, der Himmel hell. Um den König waren zwei seiner Offiziere, fertig in Rüstung, sein Erzkämmerling und Adjutant, zwei Pagen. Der Luxemburger legte trotz seiner sechzig Jahre und seiner Blindheit größtes Gewicht auf einwandfreie Wappnung und Kleidung. Der Kämmerling und die Pagen rieben seine weiße, körnige Haut mit Essenzen, legten ihm umständlich Hemd, Unterkleid, die silberne Rüstung an.

Der König hatte nur wenige Stunden geschlafen, aber er war frisch und in strahlender Laune. Vor ihnen war ein großes Gehölz, dahinter standen die Engländer. Heute also, endlich, wird man sich schlagen. Es wird kein Geplänkel, es wird eine heiße, große Schlacht sein. Es geht für den Engländer um alles.

Wie der elegante, blinde Mann jetzt dasteht, gewaschen, gerüstet, den Sommermorgen schnuppernd, hat er alle die leisen, melancholischen Anwandlungen vergessen, die sonst manchmal in letzter Zeit aus seinem zerronnenen und zerdunsteten Leben in seine Nacht steigen. Wie ein Tier, das nach langem winterlichem Stall den Frühling wittert, sog er gierig den Geruch der Schlacht, der rings in der Luft war.

Trat vor das Haus, frühstückte, scherzte mit seinen Herren. Kleiner, reiner Wind ging. Nun wird gleich die erste Sonne kommen.

Sein Vater war Römischer Kaiser gewesen, mächtig über alle Christenheit. Er, Johann, kämpfte jetzt in französischem Sold; es hat eigentlich gar keinen Sinn gehabt, daß er sich in den großen Zwist zwischen England und Frankreich gemengt, er hat es aus bloßer Freude am Kampf getan. Zudem hat er das Geld verschleudert, das er von Frankreich für die Truppenwerbung erhalten, und muß jetzt ziemlich kläglich Ausflüchte suchen. Genau gesehen, hat sich ihm nichts, gar nichts gefügt. Wenn auch! Das geht ihn jetzt nichts an. Jetzt wird er kämpfen. Er ist sehr vergnügt.

Man reichte ihm weiße Scheiben Brotes, Butter, Honig, einen Trank Met. Bienen summten um ihn. Er tätschelte die weichen Haare der Pagen.

Er hat das Geld für die Söldner vertan. Er lächelte.

Nun ja, wenn heute sein Sohn Karl Deutscher König ist, so hat jener Sold sein gut Teil dazu beigetragen.

Karl darf es nicht wissen. Er ahnt es wahrscheinlich, aber wissen darf er es nicht. Er ist so korrekt. Gleichviel, gleichviel. Er liebt Frankreich, er hat Frankreich viele gute Dienste getan, er wird auch heute, er spürt es, das vertane Geld reichlich hereinbringen. Er schüttelte sich, reckte sich, fragte, ob die Sonne schon da sei.

Man stieg zu Pferde, brach auf. Es ging durch ein großes Gehölz, dahinter stand auf dem weiten, staubigen Feld der Feind. Man hatte die Visiere noch nicht heruntergelassen; Vögel sangen, Zweige streichelten das Gesicht, man roch das Laub. Es war schön zu leben, es war schön, im Morgen durch den Wald zu reiten, und dahinter stand der Feind.

Ah, jetzt verstummten die Vögel. Klirren, Schreien, Dröhnen, stampfende, trappelnde Pferde, helle Trompeten, Staub, viel Staub. Man war am Ende des Waldes.

Der König hielt mit seinen Herren. »Wie steht die Schlacht fragte er mit der Erregung des leidenschaftlichen Spielers. Seine Herren mußten ihm alle Wechsel des Kampfes schildern. Er kommandierte, warf Truppen hierhin, dorthin. Aber die Strategie des Blinden blieb notgedrungen theoretisch, die Offiziere korrigierten, ohne viel Worte zu machen, seine Befehle nach Belieben oder führten sie überhaupt nicht aus.

Staub lag dicht auf dem Feld, legte sich grau, dick auf Halme, Gräser, Ähren, auf die Pferde, die Rüstungen.

Die Schlacht hatte sich in zahllose, verbissene Gruppenkämpfe aufgelöst. Da hielt es den alten Herrn nicht mehr. Spürte er, daß seine Befehle leerer Schall waren, demütig entgegengenommen, unbeachtet weggeworfen wurden? Er reckte sich plötzlich hoch auf, sein braunes, gutes Pferd stieg, wieherte, er warf einen hellen, fröhlichen Schrei in das Gewieher, brach los. Seine Offiziere suchten ihn zu halten, die Pagen drängten brennend, hitzig vor. So kam er trotz allen Hemmungen ins dickste Getümmel, sein Schmuck, seine wertvolle Rüstung reizten Gegner. Er wurde umzingelt, herausgehauen, nochmals umzingelt. Vor allem zwei schottische Ritter, jüngere Söhne, Habenichtse, hatten es auf seinen Schmuck und den prachtvollen Brustpanzer abgesehen. Der blinde alte Herr sprach, schrie, lachte, stach um sich. Er war von seinen Offizieren getrennt, die Pagen hatten sich bei ihm gehalten. Er sprach, scherzend, grimmig, anfeuernd, zynisch, zu dem einen, dem blonden, feinen Jehan, seinem Liebling. Der war schon zusammengehauen, tot, aber der blinde König wußte es nicht. Endlich warf sein verwundetes Pferd ihn ab, begrub ihn. Man drang ein auf ihn, riß ihm Helm und Visier herunter, schlug ihm den Schädel ein. Da lag er still und jämmerlich im Staub, der rastloseste Mann und Fürst der Zeit, sein eleganter Bart war übel zerrauft und mit Blut verklebt, die schäbigen Ritter zerrten ihm den silbernen Panzer von der Brust, der Ring wollte nicht los von der steifen, im Staub verkrampften Hand, so hackten sie den ganzen Finger ab. Dann zog sich der Kampf weg, und die Franzosen, für die der Blinde ohne Sinn und ohne Zweck gekämpft hatte, wurden zersprengt und besiegt.

Der tote König lag allein. Krähen und Raben kreisten.

Karl von Luxemburg, der Deutsche König, hatte sich, verwundet, aus jener Schlacht gerettet. Der König von England, der immer gern und stolz betonte, wie ritterlich seine Kriegführung sei, hatte ihm die Leiche des Vaters mit ehrenvollem Geleite übersandt. Nun stand Karl vor den scheußlich verstümmelten Resten. Er hatte den Vater nie geliebt. Der alte Verschwender, der in so launischem Zickzack über die Erde gefahren war, der so toll und übermütig mit seinen Kronen gespielt hatte, statt sie zu wahren und zu festigen, hatte sein Erbe schwer gefährdet. Immerhin, es waren Rechte, Titel, Länder auf allen Seiten erworben. Er wird sich nicht verzetteln, er wird nicht überflüssig prahlerisch alles zu halten suchen; er wird zusammenstücken, runden.

Nur auf die Sache sehen, nicht auf äußeren Glanz.

Da lag nun dieser König Johann, sein Vater. Er war ein Ritter gewesen, der erste Ritter der Christenheit; er hatte groß geglänzt, nun lag er da, ein Haufe scheußlich verstümmelten, verwesenden Fleisches. Er hatte gelebt für nichts, er war gestorben für nichts. Er hatte über Kirche, Priester, Heilige gelacht und die Welt nicht unter seine Sohle gezwungen, hatte weder den Himmel erworben noch die Erde. »Schlaf in Frieden, Vater! Ich werde anders sein wie du

König Karl ließ das Herz ausnehmen, die Fleischteile in siedendem Wasser von den Knochen lösen. Überführte die Gebeine in das heimatliche Luxemburg, ließ sie feierlich neben tiefverehrten Reliquien beisetzen.

Dann ließ er – Aachen hatte seine Tore gesperrt – sich in Bonn als Deutscher König krönen, in Prag als Böhmischer. Kaiser Ludwig hielt jetzt, nach der Niederlage der Franzosen, die richtige Zeit für gekommen, an den Gegenkönig eine schwungvolle Protestnote zu richten.

Er forderte ihn in großen Worten auf, von seinem Gebaren abzustehen und sich ihm, dem Stärkeren, zu unterwerfen. Karl antwortete im gleichen Stil, seine Stärke bestehe nicht in Kriegsheeren, sondern in dem großen Alliierten: Gott.

Fürs erste aber sah er sich nach irdischen Alliierten um. Unterhandelte mit Ungarn, mit dem lahmen Albrecht. Karl hatte für sich Legitimität, Titel, Kirche, Religion, Sympathien, Ludwig die Macht. Ihre Länder grenzten aneinander; beide aber waren sie wägend und bedacht und verhüteten, daß hier Krieg losbrach.

Der findige, anschlägige Karl glaubte vielmehr, die schwache Stelle des Wittelsbachers ganz woanders herausgefunden zu haben: in Tirol.

Hier hatten die Bischöfe von Trient und Chur, denen Markgraf Ludwig verhaßt war, unablässig gewühlt und gezettelt. Die Feudalbarone, knirschend gegen die Brutalität und die Rechenhaftigkeit der Wittelsbacher, warteten nur darauf, die Luxemburger zurückzurufen.

Auch die großen lombardischen Stadtherren, die Carrara, Visconti, della Scala, Gonzaga, sahen die bedrohliche Nachbarschaft Kaiser Ludwigs mit tiefer Besorgnis. Der kluge, vorsichtige Tägen von Villanders vereinigte geschickt die Interessen dieser drei Oppositionsparteien. Er selber war Landeshauptmann von Tirol, der Markgraf begünstigte ihn, hielt ihn für zu gefährlich und zu einflußreich, mit ihm anzubinden. Allein der elegante Herr hatte feine Witterung; er spürte sehr gut, wie unsympathisch er dem Markgrafen war, wie der immer mehr Befugnisse seinem brutalen Freund, dem Konrad von Teck, und den anderen schwäbischen und bayrischen Herren übertrug.

Er sandte Botschaft an König Karl. Kuriere, immer dringendere. Die Truppen der Bischöfe stünden zu seiner Verfügung, die lombardischen Söldner, die Kontingente der Barone. Karl entschloß sich. Die Gelegenheit konnte nicht besser kommen. Markgraf Ludwig kämpfte hoch im Norden, in Preußen. Möge er sich Ruhm gegen die Heiden erwerben. Tirol jedenfalls hatte weder Truppen noch seinen Herrn.

Es kam über Karl etwas von dem abenteuerlichen Geist seines Vaters. Heimlich brach er auf, von drei Vertrauten begleitet, alle vermummt, als Kaufleute reisend mit lombardischen Pässen. Reiste im schärfsten Frost, auf verschneiten Bergpfaden. Stand unerwartet in Trient. Feierliches Hochamt im Dom. Karl in kaiserlichem Ornat. Die Insignien freilich, Reichsapfel, Zepter, Schwert, leider nur Ersatz; die echten hielt der Wittelsbacher in strenger Hut. Glocken, Weihrauch.

»Gloria in excelsis«, sang mit seiner fanatischen Stimme der finstere Bischof Nikolaus, sangen die Knaben.

Karl hielt Parade ab: die Truppen des Bischofs Nikolaus, der italienischen Städte, des Bischofs von Chur, des Patriarchen von Aquileja, zahlreicher südtirolischer Barone, seines Bruders Johann, des rachgierigen.

Mächtig brach er auf, nahm Bozen, nahm Meran. Lagerte dick und gewaltig vor Schloß Tirol.

Hier war Margarete allein auf sich angewiesen. Der Markgraf und Konrad von Teck waren fern in Preußen, der Landeshauptmann Tägen von Villanders ließ sich nicht auffinden. Die Unterführer zögerten, verwiesen, fragte man sie: Ist die Burg zu halten?, auf Gott, wälzten alle Entscheidung stets wieder auf Margarete zurück. Immer dichter und enger schloß sich der Kreis der Belagerer.

Margarete ging herum in grimmiger Ruhe. Ihr Gatte Johann, der kleine, tückische Wolf, war vor dem versperrten Tor gestanden, und sie hatte ihn nicht hereingelassen. Jetzt kam er mit Gewappneten und Geschwadern und allem Pomp des Kriegs, sich den Eingang zu erzwingen. Sie hatte aus ihrer Vernichtung die Trümmer leidlich wieder zusammengestückt, hatte sich eine Ehe aufgebaut, hatte ihr Land und ihr Leben einigermaßen wieder in Ordnung und Fug gebracht. Es war nichts Großes, Schönes, Leuchtendes. Es war ein armseliges, mitgenommenes Stück Leben, Flickwerk hier, hier Ersatz, dort Lücke und Verzicht. Aber es war wohlerworben, war gerettet aus Schlamm und Nichts, war umzäunter, gesicherter Besitz. Und nun kamen jene Erbärmlichen ein zweites Mal und wollten es ihr entreißen! Oh, sie wird es dem geduckten, hintertückischen Karl zeigen und dem Johann, dem boshaften, lauersamen Wolf.

Sie wußte, es kam darauf an, die ersten Tage auszuhalten. Sie hatte nicht viele, aber zuverlässige Truppen.

Organisierte selber den Widerstand. Sie war nicht feig, trug – alle sahen das – keinen Augenblick Bedenken, sich zu exponieren. Ihr Wille, ihre hinreißende, umsichtige Energie ging über auf die Besatzung. Die ersten Stürme wurden sachlich und ohne große Opfer abgeschlagen; unter den Truppen des Schlosses herrschte eine gewisse grimmige Scherzhaftigkeit; die Markgräfin wurde vertraulich verehrt und bewundert. »Unsere Maultasch sagten die Soldaten.

Ein Bayer war unter ihren Offizieren, ein junger, häßlicher Mensch, ein Albino, Konrad von Frauenberg. Die andern mieden ihn wegen seines abstoßenden, frechen, mürrischen Geweses. Margarete fiel er gerade dadurch auf. Sie übertrug ihm das Kommando der Verteidigung, verstand sich gut mit ihm. Fand ihn kurz und energisch von Wort und Sitte, wo die andern nichts sahen als mürrische Anmaßung. Er wiederum rühmte mit dreister, karger, quäkender Anerkennung ihre Tatkraft, ihre Anordnungen.

Die Belagerer wurden von Tag zu Tag verdrossener.

Es war klar: das Land konnte nur im Flug genommen werden oder gar nicht. Jetzt lag man da, vor unerwartetem Hemmnis, belagerte eine Frau, die häßliche, verachtete Herzogin, die Maultasch, kam nicht vorwärts.

Unflätig schimpfte, fluchte Johann. Herr von Schenna hatte das Gerücht verbreitet, die Luxemburger wollten Tirol nur, um es an die Visconti zu verschachern, an die Mailänder; sie hätten bereits heimlichen Vertrag gemacht. Die tirolischen Hilfstruppen faßten Mißtrauen, murrten auf, hielten keine Zucht mehr, verliefen sich. Der kluge, vorsichtige Tägen von Villanders zog sich von den Luxemburgern zurück, wurde unauffindbar auch für sie. Schon stand der Markgraf, in Eilmärschen von Norden kommend, in Bayern, wo der Kaiser ihn mit vielen Regimentern verstärkte. Als er in Innsbruck eintraf, war plötzlich Herr von Villanders in seinem Lager, sagte, ja, er habe mit dem Gedanken gespielt, zu König Karl überzugehen, habe sich aber jetzt reuig eines Besseren besonnen, ehe noch ein entscheidender Schritt geschehen. Bat um Verzeihung, führte dem Markgrafen, dem hart und steif blickenden Konrad von Teck seine Truppen zu.

Karl schluckte an dem unvorhergesehenen Hemmnis, preßte die Lippen, würgte. Es war unbegreiflich, daß seine wohlgerüstete Armee vor diesen Mauern scheitern sollte. Woher nahm die Frau, diese im Grunde doch lächerliche Maultasch, die Kraft? Er war tief beunruhigt, betete, erforschte sein Gewissen. In Trient hatte man ihm einen Finger des heiligen Nikolaus vorgezeigt. Er hatte die kostbare Reliquie erwerben wollen – eine Hand des Heiligen besaß er bereits –, aber man gab den Finger nicht her. Er konnte der Versuchung nicht widerstehen, zog kurz entschlossen sein Messer heraus, schnitt ein Glied des Fingers ab, nahm es mit sich. Vielleicht hatte das den Heiligen verdrossen, vielleicht hielt der das Glück von seinen Fahnen ab und wog es der Feindin zu. Karl schickte mit einem weitschweifigen Entschuldigungsschreiben den Knochen zurück.

Allein, es half nicht mehr, seine Reue kam zu spät.

Der Markgraf war nahe. Nahm man den Kampf erst an, so war große Gefahr, daß der Rückweg nach Italien abgeschnitten würde. Karl hob sich weg von Schloß Tirol. Trat den Rückzug nach Süden an, in verbissener Wut. Es kläffte Johann, es schäumten die italienischen Barone. Karls Straße war Raub, Brand, Verwüstung.

In Asche Meran, in Asche Bozen, überall im Etschland die Acker verwüstet, die Reben abgeschnitten, die Häuser zerstört.

Klirrend unterdes ritt der Markgraf in Schloß Tirol ein. Umarmte Margarete stürmisch, ehrlich. Nie hatte man ihn so herzlich gesehen. Sie hatte, sie allein, Tirol gerettet. »Unsere Maultasch sagte der Markgraf zu Konrad von Teck, ihr die Schulter klopfend. »Unsere Maultasch!«

Konrad von Teck nützte die Gelegenheit, den einheimischen Adel bis zur völligen Machtlosigkeit zu demütigen. Margarete spürte die ganze, überlegte Grausamkeit seiner Maßnahmen. Doch sie ließ ihn gewähren, hatte nie Einwände. Seitdem sie Tirol für die Wittelsbacher gerettet, fühlte sie sich ihrem Gatten herzlich und von innen her verbunden. Sie fühlte sich eins mit dem Land, ihr eigenes, leibliches Wohlbefinden verlangte, daß das Land nach wittelsbachischen Grundsätzen verwaltet werde: der Adel geduckt, Städte und Bürger gehoben. Langsam richtete sie sich auf, zusammen mit dem Land, befreit von dem Druck der Barone.

Sie saß auf ihrem Schloß Maultasch. Sie bohrte sich, wühlte sich in das Land hinein. Sie hatte nun drei Kinder, zwei Mädchen und den Knaben Meinhard. Sie besorgte sie treulich; aber sie hatte nichts mit ihnen gemein. Das Land war ihr Fleisch und Blut. Seine Flüsse, Täler, Städte, Schlösser waren Teile von ihr. Der Wind seiner Berge war ihr Atem, die Flüsse ihre Adern.

Einmal ging sie im Mittag allein spazieren, am Ufer der Passer, legte sich unter Felsen, ruhte, nickte ein.

Da weckte sie eine hohle, feine Stimme: »Grüß Gott, Frau Herzogin Sie fuhr auf, sah ein winziges, kleines, behaartes, bebartetes Wesen im Geklüfte stehen, sich mit raschen, zutraulichen, possierlichen Bewegungen viele Male neigen, verschwinden. Ein Zwerg! Die Zwerge waren wieder im Land! Die Zwerge, die nur kamen, wenn sie sich sicher fühlten, die nur dem wirklichen Fürsten sich zeigten, waren ihr sichtbar. Jetzt war sie in Wahrheit die Herrin des Landes in den Bergen.

*

König Karl verließ bald, nachdem er die Belagerung von Schloß Tirol aufgegeben hatte, das Land in den Bergen. Mit mancherlei Reliquien, aber sonst geringem Gewinn. Er verfehlte nicht, auf seinem Rückzug vor allem noch die Grafen von Görz gegen den Brandenburger aufzustacheln; auch verlieh er, dem Beispiel seines Vaters folgend, an Fürsten und Herren viele tirolische Städte und Gerichte, die er nicht besaß, so dem Wittelsbacher immer neue Feinde aufwühlend.

Nach Deutschland zurückgekehrt, wurde er für die Mißerfolge in Tirol bald reichlich entschädigt durch eine unerwartete Wendung im Kampf um das Reich.

Ganz plötzlich, auf einer Bärenhatz, in der Nähe seiner Hauptstadt München, starb Kaiser Ludwig, der Wittelsbacher. Ein Schlaganfall warf den vollblütigen Mann vom Pferd, eine alte Bäuerin drückte ihm die riesigen, treuherzigen, blauen Augen zu, Mönche führten die Leiche heimlich fort, sie trotz Bann und Interdikt geweiht und heilig zu bestatten.

Da stand nun Karl von Böhmen, und sein Feind, der die weiten Länder unter sich hatte und dem die Städte anhingen, war tot. Die Heiligen hatten geholfen. Er, Karl, stand jetzt, da das Jahrhundert sich scheitelte, als unbestrittener Deutscher König ohne Nebenbuhler.

Er war des Streites mit den Wittelsbachern müde, sie des Streites mit ihm. Der lahme Albrecht vermittelte. Karl verzichtete gleichwie sein Bruder Johann auf Tirol und Kärnten, belehnte den Markgrafen mit diesen Ländern, versprach, die Kurie mit ihm auszusöhnen. Die Wittelsbacher dagegen erkannten ihn als Deutschen König an, leisteten ihm Huldigung, lieferten ihm die Reichskleinode aus.

Die Reichskleinode! Karl hatte sich schmerzhaft danach gesehnt. Er besaß so viele teure Reliquien, nicht diese kostbarsten Zeichen der Macht, die ihm gehörte.

Er hatte sich und seine Würde nackt und bloß gefühlt, solange er sie nicht besaß und sich mit nachgemachtem Zeug begnügen mußte. Jetzt führte er die süßen, werten Dinge in feierlichem Zug nach Prag in seine Schatzkammer. Die heilige Lanze war darunter, auch ein Nagel von der Kreuzigung sowie ein Arm der heiligen Anna. Vor allem aber das altertümliche Zepter, der Reichsapfel von hellem, blassem Gold, die zackige Krone, das Schwert, das Karl dem Großen durch einen Engel gegen die Heiden geschickt worden war. Im Dom von Prag ließ der König die Kleinode weihen.

Dann brachte er sie selbst in das Schatzgewölbe. Da lagen sie nun unter den bleichen Knochen der Märtyrer, unter Juwelen, unter kostbaren Büchern und Bildern, unter Akten und Verträgen, unter heiligen Spießen, Dornen von Christi Krone, Splittern von Christi Kreuz. Der hagere König stand davor, lächelte mit schmalen Lippen, streichelte mit der mageren, knochigen, bräunlichen Hand die Zinken der Krone, die merkwürdigen Kanten des unregelmäßigen, keineswegs runden Reichsapfels, das stumpfe, rostige Schwert des großen Karl, des ersten seines Namens.

Agnes von Taufers-Flavon kam selten auf ihre tirolischen Güter. Auch ihre jüngere Schwester hatte sich mittlerweile vermählt, mit einem Herrn von Castelbarco, der politisch sehr zweideutig war, zwischen dem Bischof von Trient, gewissen italienischen Stadtherren und dem tirolischen Hof hin und her pendelte, im übrigen außerordentlich reiche Pflegen und Privilegien besaß. Agnes reiste viel, lebte häufig bei ihrer älteren Schwester in Bayern, bei ihrer jüngeren in Italien. Man hatte sie nach der Austreibung Herzog Johanns nicht weiter behelligt; in allen Fragen, die zwischen ihr und der markgräflichen Verwaltung strittig sein konnten, gaben auf ihre kluge Weisung ihre Amtsleute nach, ehe es zu Streitigkeiten kam. Sie ging zu Hofe nicht öfter, als es der Anstand erforderte, vermied es peinlich, aufdringlich zu erscheinen.

Sie war jetzt von erregender, bewußter, fast beängstigender Schönheit. In Italien legte man ihr Städte und Fürstentümer zu Füßen, schlug sich tot für sie. Selbst die plumpen Bayern schnalzten mit der Zunge, klatschten sich die Schenkel, erklärten: ah, da lege man sich nieder, begingen Dummheiten für sie. Sie schritt liebenswürdig mit kleinem, vieldeutigem Lächeln durch die Huldigungen, Kämpfe, Selbstmorde.

Erschien sie selten am tirolischen Hof, so zeigte sie, wo immer sie war, das brennendste Interesse für die tirolischen Dinge. Gierig hörte sie, mit halbgeöffneten Lippen, von Margaretes Tätigkeit. Ihre Maßnahmen gegen den Adel, für die Städte, für die Juden, ihre Verteidigung gegen die Luxemburger, jeden kleinsten Zug aus Margaretes Leben ließ sie sich berichten, wieder und wieder erzählen. Niemals indes griff sie mit einen Wort oder gar mit einer Tat ein. Forderte man ein Urteil von ihr, so bog sie aus, sagte Belangloses, lächelte.

Sehr gern zeigte sie sich dem Volk. Sie war hochmütig, sie erwiderte keinen Gruß. Niemals stiftete sie Geld für die wohltätigen Anstalten der Dörfer und Städte; auch die Bauern ihrer Güter wurden schlecht behandelt. Dennoch sah das Volk sie gern. Man stand an ihrer Straße, wenn sie kam, bewunderte sie, schrie »Hoch, liebte sie.

Häufig erhielt sie den Besuch des Messer Artese aus Florenz. Agnes lebte sehr verschwenderisch, sie brauchte immer von neuem die Hilfe des unscheinbaren, oft sich neigenden Florentiner Bankiers, der Pfandrecht bereits auf alle Güter hatte. Messer Artese erzählte ihr viel vom Tiroler Hof. Er war gar nicht gut auf den Markgrafen und die Maultasche zu sprechen.

Wohl war Ludwig immer in finanziellen Nöten; denn seine Kriege verschlangen gewaltige Summen. Aber er lieh sich von seinen bayrischen und schwäbischen Herren, vermied ängstlich die Hilfe des guten, dienstbereiten Messer Artese; ja, er löste sogar mit Opfern die Pfänder aus, die dieser noch in Händen hatte. Auch die gewalttätige Art, mit der des Markgrafen Statthalter Konrad von Teck Geld und Gut an sich zu bringen pflegte, diese Konfiskationen und Hinrichtungen gingen dem stillen, höflichen Florentiner sehr wider den Strich. Geld verdienen, gewiß, Geld, wenn es nicht gestohlen ist, kommt von Gott. Säumige Schuldner nicht schonen, verfallene Pfänder eintreiben, selbstverständlich. Aber alles mit Manier, höflich, in guten Formen. Gefängnis, Kopf ab – pfui, das tut man nicht, das schickt sich nicht.

Am meisten aber war Messer Artese erbittert über die Bevorzugung des Juden Mendel Hirsch. Was? Ihm, dem stillen, bescheidenen, gebildeten lateinischen Herrn und guten Christen zog man den stinkenden, zappelnden, gurgelnden, frechen, aufdringlichen Juden vor, den widerwärtigen Höllenbraten? War es nicht genug, daß dieses pestilenzialische, gottverfluchte Volk, das unsern lieben Herrn und Heiland gemartert und gekreuzigt hat, die deutschen und die italienischen Städte verseuchte? Mußte ihnen die unselige Maultasch auch noch das Land in den Bergen hinwerfen, daß sie hineinkrochen wie Würmer, alles anfraßen, nicht mehr wegzubringen waren? Da saßen sie nun, das ekle Geziefer, waren überall zur Stelle, drängten jedermann ungerufen ihr Geld auf und erdreisteten sich, das elende, erbärmliche Gesindel, niedrigere Zinsen zu verlangen als er, der hochangesehene, ehrsame, bei allen Fürsten und Herren wohlgelittene Florentiner Bürger! Das Gesicht des sonst so sanften, gesitteten, beherrschten Mannes verzog sich zu einer Fratze maßlosen Wütens.

Agnes hörte ihm still zu. Sie hörte alles, schrieb es in ihr Gedächtnis, bewahrte es wohl auf, war außerordentlich liebenswürdig zu Messer Artese. Der fing sich wieder ein, entschuldigte sich viele Male, glitt ins Dunkle.

Nach dem Abkommen mit König Karl bestritt niemand mehr Margarete und dem Markgrafen den sicheren Besitz von Tirol. Durch den Tod seines Vaters, des Kaisers, war Ludwig in mannigfache, schwierige Erbstreitigkeiten mit seinen Brüdern gekommen.

Schließlich einigte er sich dahin, daß er aus diesem Erbe Oberbayern tatsächlich, von der Markgrafschaft Brandenburg aber nur den Titel und die Kurwürde behielt. Der Sorge um Brandenburg ledig, regierte er in seinem gesicherten Tirol; seine Macht reichte von Görz bis ins Burgundische, von der Lombardei bis an die Donau. Er nannte sich Markgraf zu Brandenburg und zu Lausitz, des Heiligen Römischen Reichs Oberster Kämmerer, Pfalzgraf bei Rhein, Herzog in Bayern und in Kärnten, Graf zu Tirol und zu Görz, Vogt der Gotteshäuser Agley, Trient und Brixen.

Margarete war zu ihm von herzlichem, fast mütterlichem Einverständnis. Es war ihr Gewißheit geworden, Gott hatte ihr alle fraulichen Reize genommen, daß sie all ihre Fraulichkeit in ihre Regentschaft senken müsse. Solche Erkenntnis hatte sie befriedet. Sie lag ganz in Ruhe wie windstilles Wasser. In ihren Entscheidungen war eine große, gerade Selbstverständlichkeit. Die Frau und die Regentin war eines. Was sie riet, was sie tat, war nie erklügelt, umwegig. Es war von einer geraden, gewachsenen, warmen Mütterlichkeit, die oft nicht dem Buchstaben, der Regel entsprach, aber stets ihren inneren wohltätigen Sinn hatte.

Es war ein schwieriges, steiniges Regiment, das sie zu führen hatte. Immer wieder Krieg: mit dem Luxemburger, den Bischöfen, den lombardischen Städten, den aufsässigen Baronen. Immer wieder das sorglich Aufgebaute niedergerissen, verheert. Dazu Erdbeben, Überschwemmungen, Feuersbrünste, Seuchen, die Heuschreckenplage. Die Finanzen durch die ständigen militärischen Ausgaben übel zerrüttet. Es war nicht leicht, unter diesen Widernissen das Land blühen zu machen. Aber ihre starke, Vertrauen atmende und gebende Fraulichkeit strömte ein in das Land, hielt es hoch, gab ihm immer neuen Schuß und Saft. Sie schuf Ausgleich, befreite Städte, die durch Krieg und Brand gelitten hatten, von den Abgaben, zwang trotz ihrem Murren die störrischen Barone, wenigstens einen Teil ihrer Steuern zu zahlen. Dies alles geschah mit einer gewissen natürlichen Gesetzmäßigkeit, ohne Geschrei und Gewalt.

Hatte sie schwierigere Finanzfragen zu regeln, so zog sie den Juden Mendel Hirsch zu Rate. Flink erschien er in seinem braunen Rock, dick, zappelnd, betulich, hörte Margarete zu, wiegte den Kopf, lächelte, sagte, das sei ganz einfach, gurgelte in vielen umwegigen Worten eine überraschende Lösung. Der kleine, umgetriebene, über die Erde gehetzte Mann war der Herzogin sehr dankbar für ihr Wohlwollen, das ihm eine einigermaßen sichere Ruhestätte und ein Dach über dem Kopf gönnte. Er liebte sie, er spürte sich ein in sie, er strengte alle seine Findigkeit an für sie.

Denn es war schwer, sich in der ökonomischen Wirrnis der tirolischen Verwaltung oben zu halten.

Zwar hatte man die Willkür der einheimischen Feudalherren gedämmt, auch den unheilvollen Messer Artese ausgeschaltet. Aber der Markgraf trug kein Bedenken, die großen Gelder, die er brauchte, von seinen schwäbischen und bayerischen Herren zu entleihen.

Die ließen sich als Entgelt skrupellos Verpfändungen und Verschreibungen geben, rafften immer mehr an sich, so daß schließlich nichts gewonnen war. Im Gegenteil: hatten früher wenigstens Einheimische das Land ausgesogen, so mästeten sich jetzt Fremde, Bayern und Schwaben. Sie saßen in allen wichtigen Landesämtern, der habgierige, gewalttätige Konrad von Teck hatte ungeheuern Besitz an sich gerissen, Hadmar von Dürrenberg die Salzrechte von Hall, etliche Münchner, Jakob Freimann, Grimoald Drexler und andere Bürger, die Bergwerke im Gericht Landeck.

Auch sonst die wichtigsten Zölle und Gefälle waren an Bayern, Schwaben, Österreicher verpachtet. Der Markgraf ließ sich hier nichts einreden. Er vertraute seinen Bayern und Schwaben, die nutzten das aus. Immerhin gelang es Mendel Hirsch, der sich vorsichtig, gedeckt von Margarete, im Hintergrund hielt, in die Verträge mit diesen Herren Klauseln einzuflechten, die den Fürsten nicht ganz wehrlos ihrer Willkür auslieferten.

Margarete blieb den bayrischen Freunden ihres Gatten gegenüber stets sehr zurückhaltend. Nur mit einem wurde sie vertrauter, mit jenem Offizier, durch dessen Hilfe sie damals Schloß Tirol gegen die Luxemburger gehalten hatte, mit dem Weißblonden, Häßlichen, Gedrungenen, Rotäugigen, mit Konrad von Frauenberg. Er war so häßlich, so unbeliebt, so einsam. Sie spürte Verwandtschaft zwischen sich und ihm, sie sprach vertraulicher zu ihm als zu den andern, zeichnete ihn aus. Der quäkende, unwirsche Mann kam rasch vorwärts, bekam Pflegen und Herrschaften.

Ja, sie setzte es durch, daß er die Landeshofmeisterstelle erhielt.

Auch ein anderes erreichte sie: den Erlaß einer Landesordnung. Tarife wurden festgesetzt, Willkür und Gerichtsbarkeit der Feudalherren weiter eingeschränkt, die Zentralgewalt gestärkt, Bürger, Handel, Handwerk gefördert. Auf blühten da die bunten, farbigen Städte, dehnten sich, wurden breit, üppig. Nicht mehr die Burgen der Barone machten das Schicksal des Landes; die Magistrate entschieden, die stolzen Messen der Städte. Selbst die Kleinen regten sich: Bruneck, Glurns, Klausen, Arco, Ala, Rattenberg, Kitzbühel, Lienz. Von den großen Börsen und Märkten, von Trient, Bozen, Riva, Brixen zweigten Straßen und Geschäft über alle Welt. Was Mendel Hirsch gesät hatte, ging reich und blühend auf.

Die Herzogin liebte die bunten, lauten, lärmvollen Städte; die schönen, lebendigen, sinnvollen Siedlungen waren recht eigentlich ihr Werk. Was Männer! Was Liebe! Konnte man reicher leben, strömen, blühen, sich zweigen als so? War dieses Auf und Nieder, dieses lebendige, zweckvolle Fluten nicht ein Teil von ihr? Sie gab sich ganz hin, wuchs hinein. Mußte das Land das nicht spüren, soviel Liebe zurückgeben, sie in sich hineinwachsen lassen? Ja! Ja! Ja! Die Häuser der Städte schauten mit lebendigen, verständnisvollen Augen auf sie, die Straßen klangen anders, vertrauter unter den Hufen ihrer Pferde. Ihre Verkrustung löste sich, sie gab sich hin, verströmte im andern, war befriedet, glücklich.

Herr von Schenna und Berchtold von Gufidaun ritten gemächlich im lauen Abend den gepflegten Pfad nach Burg Schenna. Sie kamen von Meran, wo die Herzogin in prunkender Zeremonie dem Großen Rat einen Kleinen beigegeben, die Rechte der Bürgerschaft wirksam erweitert hatte. Dies war ein Geschenk von großem Wert, für die Herzogin verbunden mit Opfern an Geld und Einfluß. Das Volk hatte geziemend und ehrerbietig gedankt, hatte »Hoch gerufen, respektvoll »Unsere Maultasch!« gesagt.

Die Herren mußten absteigen, Platz machen vor einem kleinen, eleganten Zug. Sie grüßten sehr höflich.

Agnes von Flavon saß in der Sänfte. Volk drängte zu: »Wie schön sie ist! Ein Engel vom Himmel!« Man schrie »Hoch, es klang sehr anders als vorher bei der Zeremonie, hingerissen, begeistert.

Herr von Schenna pfiff ein italienischen Liedchen.

Berchtold von Gufidaun schaute nachdenklich vor sich hin; die blauen Augen in dem männlich kühnen, bräunlichen Gesicht starrten angestrengt. Er war nicht sehr schnell im Überlegen.

An ihrem Wege, kurz vor der Stadt, zeigte eine kleine Seiltänzergesellschaft einem Häuflein Volkes ihre Kunststücke. Ein feuerfarbener Gaukler präsentierte einen großen Affen. Der hockte melancholisch und grotesk im Reifen, sprang nach dem Apfel. Dann produzierte sich ein Mädchen, tanzte, jonglierte mit Bällen. Dann kam wieder der Affe. Man hatte ihn jetzt in blaue Seide gesteckt, ihm goldenen Flitter auf den Schädel gesetzt. Er saß da, langarmig, plump, sehr häßlich, traurig, böse, fletschte gelbe Zähne in dem mächtig vorgewulsteten Maul. Das Volk starrte einen Augenblick. Dann brach es los, von allen Seiten, wiehernd, sich biegend, schenkelschlagend, Zwerchfell und alle Eingeweide schütternd, endlos, atemlos: »Die Maultasch! Das ist ja die Herzogin! Die Maultasch!«

Die Herren ritten weiter. Berchtold stieß tief verdrossen die Luft durch die Zähne. Ein Winzermädchen kam ihnen entgegen, bloßfüßig, braun, hübsch.

Sie grüßte lächelnd, demütig. Berchtold sah sie nicht an, Schenna warf ihr ein paar Scherzworte zu. Doch seine Munterkeit klang nicht ganz echt. Bald versank auch er; schweigend wie Berchtold ritt er weiter, in schlechter Haltung auf seinem Pferd hockend, das lange, gescheite, welke Gesicht verzogen in etwas säuerlicher Überlegenheit.

*

In Ala, während die Barone Azzo und Marcabrun von Lizzana mit einem Kapitelherrn von Trient verhandelten, mitten im Satz schwankte der ältere der Brüder, Herr Azzo; sein Gesicht wurde gelblich, lief blauschwarz an, er fiel um. In den Achselhöhlen, in den Weichen, an den Schenkeln beulte es sich schwarz, eiterig, eigroß. Er röchelte, kam nicht mehr zu Bewußtsein, starb nach wenigen Stunden. Der Tridentiner, vergraust, ritt auf gehetztem Pferd in seine Stadt zurück. Nun war sie also da, die Seuche. Nun war sie in das Land in den Bergen eingedrungen. Daß in Verona schon viere, fünfe umgefallen seien, war keine Lüge gewesen. Und jetzt war also der Schwarze Tod in den Bergen. Und jetzt gnade uns allen Gott!

Die Pest war gekommen von Osten her. Sie raste vor allem an den Küsten der See, drang dann ins Binnenland. Sie tötete in wenigen Tagen, oft in Stunden. In Neapel, in Montpellier starben zwei Drittel des Volkes.

In Marseille starb der Bischof mit dem ganzen Kapitel, alle Predigermönche und Minoriten. Weite Gegenden waren ohne Menschen. Große, dreiruderige Schiffe trieben führerlos auf dem Meer, mit allen ihren Waren, die ganze Bemannung war gestorben. Gräßlich wütete die Seuche in Avignon. Die Kardinäle fielen um, der Eiter der zerdrückten Beulen besudelte ihre prunkenden Gewänder. Der Papst schloß sich in sein innerstes Gemach, ließ niemand vor, unterhielt den ganzen Tag ein großes Feuer, in dem Würzkräuter verbrannten und die Luft reinigendes Räucherwerk. In Prag in dem Schatzgewölbe seiner Burg zwischen Gold, Kuriositäten, Reliquien hockte Karl, der Deutsche König, fastete, betete.

Schaurig in die Täler Tirols brach die Pestilenz. Von den Bewohnern des Wipptals blieb nur ein Drittel am Leben, von dem menschenreichen Kloster Marienberg nur Wyso, der Abt, der Priester Rudolf, ein Laienbruder und der Bruder Goswin, der Chronist. Es gab Täler, in denen von sechs Leuten nur je einer die Seuche überdauerte. Da der Atem und der Dunst, Kleider und Gerät die Krankheit übertrugen, floh jeder feindselig und voll Mißtrauen den andern, Freund den Freund, Braut den Geliebten, Kinder die Eltern. Die Menschen verröchelten ohne Sakrament, in den Städten standen viele Häuser leer mit allem Hausrat, und niemand traute sich hinein; Messen wurden nicht gelesen, Prozesse nicht verhandelt. Die Ärzte brachten vielerlei vor, vermochten aber schließlich keinen andern Grund anzugeben, als daß es Gottes Wille sei. Helfen konnten sie nicht. Die Menschen, irr vor Angst, kasteiten sich, geißelten sich, Frauen taten sich zu Schwesterbünden zusammen. Flagellantenprozessionen, Schwärmer und Propheten. Andere fraßen sich toll und voll, trieben jede Völlerei, Schwelgerei, Ausschweifung. Den blutrünstigen, abgezehrten Geißelbrüdern begegneten Züge besoffener, bunter Fastnachtsnarren.

Von den drei Kindern der Margarete blieb der Sohn Meinhard leben, die beiden Mädchen starben. Sie lagen scheußlich gedunsen, mit riesigen schwarzen Geschwüren. Margarete dachte: »Nun sind sie häßlich wie ich

Sie hatte nicht Zeit, sich lange zu grämen, lange darüber zu sinnieren. Sie arbeitete, ging herum, furchtlos, klar, ruhevoll. In der ungeheuern Wirrnis wurden von ihren Befehlen nur wenige und schlecht befolgt; immerhin hielt sie ihr Land fester in Ordnung und Fug, als es anderen Regierungen in der allgemeinen Auflösung möglich war. Wie dann die Pest abflaute, straffte sie sogleich die Zügel, paßte die Gesamtverwaltung des Landes den neuen, durch die Entvölkerung viel weiteren und loseren Verhältnissen an. Auch baute sie der Verschleuderung der zahlreichen erledigten Güter vor, wußte übrigens bei dieser Gelegenheit auf wohlfeile, doch nicht unanständige Art viel Boden und Besitz in ihre Hand zu bringen.

Messer Artese war sehr geschäftig, es war gute Zeit für ihn. Überall in der Welt waren Häuser und Liegenschaften, Rechte und Privilegien an Erben gefallen, die nichts damit anzufangen wußten. Er erwarb, raffte.

Doch in Tirol fand er Widerstand, Gesetze, die ihn hemmten, Vorkaufsrechte des Hofs, der Behörden, zähe Klauseln. In Schloß Taufers, vor Agnes, ließ er sich gehen, brach aus, schäumte. Der Jude war, der schlaue Mendel Hirsch, an allem schuld! Der hinderte ihn, den guten christlichen Finanzmann, am Geschäft. Der hatte, nur um ihm den Knüppel zwischen die Beine zu werfen, alle diese frechen, höllisch schlauen Klauseln und Erschwernisse ausgeheckt.

Agnes ließ den Florentiner sich austoben, hörte still zu, sah ihn mit ihren tiefen blauen Augen unverwandt an. Begann dann mit ihrer gleichmütigen und erregenden Stimme zu erzählen. Sie war am Rhein gewesen. Dort hatte man in zahlreichen Städten die Juden gefangen und verbrannt. Denn die Juden hatten die Pest gemacht, sie hatten Gift in die Brunnen geworfen.

Sie wußte es genau. In Zofingen hatte man Gift gefunden. In Basel war sie selbst dabeigewesen, wie man die Juden auf eine Rheininsel getrieben hatte, in ein Holzhaus, und sie darin verbrannt. Sie hatten schrecklich geschrien, der Gestank war noch lange in der Luft geblieben. Recht hatte man getan. Sie, die Verfluchten, waren wirklich schuld an der Pest. Der lahme Albrecht von Österreich freilich, der Mainzer Bischof und die Maultasch schützten ihre Juden. Agnes sagte langsam, gleichmütig, immer ihre Augen auf den Florentiner: »Die Herrschaften werden wohl ihre guten Gründe haben

Messer Artese hörte zu, erwiderte nicht. Kehrte unverrichteter Dinge zurück nach seinem Florenz.

Von Italien dann kroch es herauf in die Täler Tirols, schleimig, immer weiter, Geraune erst, dann immer festere Gewißheit: die Juden machen die Pest. Die Pest hört nicht auf, solang man die Juden im Land läßt. Es ballte sich zusammen. Hetze, Anschläge.

Die Juden indes gingen herum, trieben ihre Geschäfte. Es gab viele Geschäfte, große Geschäfte, sie hatten es sehr wichtig. Der kleine Mendel Hirsch lief, zappelte, gluckste gaumig, seine zahlreichen Kinder liefen mandeläugig, wichtig, selbst die uralte, mummelnde Großmutter lebte auf, fragte mühsam, lallend: »Wie gehen die Geschäfte Sie gingen ausgezeichnet, Gott sei Dank. Die Pest war im Abflauen, unberufen.

Es gab viel zu tun, zu handeln, zu kaufen, zu vermitteln, Verträge zu machen. Schon in wenigen Wochen wird man, so Gott will, in Bozen wieder den ersten großen Markt halten können. Die gnädige Frau Herzogin – Gott schütze sie! – brauchte Mendel an allen Ecken und Enden.

Unterdes zog es heran, gefährlich, fletschend, sinnlos, immer schwärzer. Die Juden kannten das. So war es vor zwölf Jahren gewesen bei den großen Metzeleien der Brüder Armleder. Jetzt kam es von Südwesten her.

Vergebens stellte der Papst, der weise, gütige, weltkundige Klemens, sich mit seiner Person und mit Bullen entgegen, wies darauf hin, daß die Juden ebenso von der Seuche getroffen wurden wie die andern: wie also sollten sie sie fördern? Es waren nicht die vergifteten Brunnen, es war ihr bares Gut und die Verschreibungen ihrer Schuldner, daran sie verdarben. Gemordet und geplündert die Juden in Burgund, am Rhein, in Holland, in der Lombardei, in Polen, In zwölf, in zwanzig, in hundert, in zweihundert Gemeinden. Die Tiroler Juden warteten ab. Fasteten, beteten. Den Behörden hier große Geschenke zu machen tat nicht not.

Daß die Herzogin sie nach Vermögen schützen werde, war gewiß. Auch daß der Markgraf ihnen wohlwollte wie sein Vater, der Kaiser, der Städte und Handel Fördernde, der immer seine Hand über sie gehalten. Aber es hatte sich gezeigt, daß gegen rasendes, Blut und Geld witterndes Volk kein Kaiser, kein Papst und kein Büttel half. Man konnte nur warten, beten, seine Geschäfte betreiben.

Und dann, plötzlich und am gleichen Tag, brach es los. In Riva, Rovereto, Trient, Bozen. In Riva wurden die Juden im See ersäuft, in Rovereto mußten sie unter großem Gaudium und Gelärm von einem Felsen zu Tode springen, in Trient wurden sie verbrannt. In Bozen hatte man es mehr aufs Plündern abgesehen und das Totschlagen schlecht eingefädelt. Man besorgte es unmethodisch, so blieben die mummelnde Großmutter, eine Schwiegertochter und eines von den kleinen Kindern am Leben.

Der Markgraf hatte seine Juden in München nicht schützen können; in Hall und Innsbruck trat er energisch zwischen sie und den gewalttätigen Pöbel. Er war für Gerechtigkeit und Billigkeit. Nachdem er den Toten nicht mehr helfen konnte, jagte er den Verfolgern wenigstens die Beute ab. Die Mörder hatten wenig Freude. Die bayrischen und schwäbischen Herren trieben nun an Stelle der Getöteten ihre Forderungen für den Markgrafen ein und sehr viel härter, als die Juden es hätten tun können. Schließlich mischte sich auch König Karl ein. Er wollte wie von allen Behörden, deren Juden umgekommen waren, so auch von dem Markgrafen seinen Teil an dem Nachlaß der Erschlagenen. Ein hartes Feilschen begann.

Margarete, sowie sie von den Gewalttaten hörte, fuhr in finsterer, erschreckter Hast nach Bozen. Kam in der Nacht an. Sah bei wanderndem Fackelschein das viehisch zerstörte Haus, die kleinen, liebevoll mit allem Möglichen vollgestopften Zimmer kahl, verwüstet, besudelt. Sah die Leichen der Söhne, Töchter, Schwiegersöhne, Schwiegertöchter, der vielen wimmelnden Kinder mit den raschen, mandelförmigen Augen, gräßlich verheert und verstümmelt die einen, die andern ohne sogleich sichtbare Wunden. Da lagen sie, die Flinken, Beweglichen, sehr still, und sehr still auch lag Mendel Hirsch. Er hatte einen Gebetmantel an und Gebetriemen am Arm und an der Stirn; man sah keine Wunde; im Fackellicht schien es, als lächle er demütig, wichtig, betulich, milde, gescheit. Margarete glaubte, jetzt müsse er gleich den Kopf schütteln, gurgeln, das sei gar nicht so schlimm, es sei ganz einfach; die Leute seien gar nicht so böse, sie seien verhetzt, dazu ein wenig langsam und schwer von Begriff; man müsse ihnen bloß gut zureden. Aber er sagte nichts, er zappelte nicht und gurgelte nicht und lag ganz still. Er hatte es gut gemeint, mit sich gewiß am meisten, aber auch mit ihr und dem Land, und er war gescheit gewesen und sehr tüchtig und hätte dem Land, ihren lieben Städten großen Nutzen gebracht.

Nun hatten sie ihn erschlagen, plump, sinnlos, viehisch. Warum eigentlich? Sie packte mit harter, zufahrender Frage einen der Umstehenden. »Er hat doch die Pest gemacht sagte der, scheu, blöde, ein wenig trotzig.

Leise, in einem Winkel, quäkte das gerettete kleine Kind, die Frau, sonderbar aufgeputzt, suchte es mit häßlicher, gebrochener Stimme in Schlaf zu singen, die Großmutter mummelte. Margarete trat näher, hob die Hand, das Kind zu streicheln. Sie fühlte sich müde, elend. Sie sah im Fackellicht ihre Hand; sie war groß, unförmig, die Haut fahl, gelblich; sie hatte vergessen, sie zu schminken.

In München, in einem der weiten Räume der neuen Residenz, die sein Vater angelegt hatte und an der er eifrig weiterbaute, stand vor dem kühl blickenden Markgrafen Ludwig die Baronin von Taufers, Agnes von Flavon. Sie bat um die Erlaubnis, gewisse Bezirke ihrer Herrschaft veräußern zu dürfen. Als Käufer trat ein Einheimischer auf. Doch im Hintergrund lauerte Messer Artese. Dem Markgrafen war Agnes nicht sympathisch; er hatte über ihre lotterige Zigeunerwirtschaft viel Abfälliges gehört; sein mageres, bräunliches Gesicht mit dem kurzen, blonden Schnurrbart blieb verschlossen, seine grauen, etwas stechenden Augen schauten mißtrauisch.

Agnes spürte sehr wohl seine feindliche Abwehr; aber sie gab sich durchaus nicht gekränkt. Sie glitt auf und ab vor ihm, schaute ihn an mit ihren tiefen, starkblauen Augen, lächelte mit den schmalen, kühnen, sehr roten Lippen aus weißem Gesicht, war damenhaft, munter, gefällig, nicht übertrieben liebenswürdig. Langsam, vorsichtig, geübt lockerte sie ihn auf, ganz leicht sich über seine Bärbeißigkeit belustigend.

Er schaute sie an. Man hat ihr doch wohl Unrecht getan. Seine Freunde verlangten von jeder Frau, daß sie Tag und Nacht im Haushalt stecke, hinter den Dienstboten herlaufe, Herd und Leinenkammer beaufsichtige. Ein feines Stück Weib war sie, unleugbar.

Zart und zier und gepflegt jede Faser und doch sehnig und voll Kraft. Er verabschiedete sie höflicher, als er sie empfangen hatte. Beschied sie für ein zweites Mal zu sich.

Sah ihr lange nach. Seufzte. Dachte an Margarete.

Die war jetzt wieder schwanger. Ja, schön war sie nicht.

Wenn man die andere danebenhielt und dann an sie dachte – ein Grausen konnte einem ankommen. Klug war sie, unsere Maultasch. Die Leute hatten Respekt vor ihr. Aber sie mochten sie nicht. Wenn die andere kam, schrien sie »Hoch.

Jetzt waren die beiden Mädchen gestorben. Im Volk sagten sie: die Strafe Gottes. Er war schuld, natürlich!

Weil der Papst lieber Tirol im Besitz seines verhätschelten Karl gesehen hätte, war seine Ehe Sakramentsschändung, waren seine Kinder Bastarde. Die Glocken läuteten nicht, und an Feuer, Überschwemmung, Heuschrecken, Seuche war er schuld.

Die Narren, die! Die pergamentnen Esel! Die Stumpfsinnigen! War es ein so großes Vergnügen, der Mann der Maultasch zu sein? Lange hatte er keinen Blick mehr dafür gehabt, wie sie ausschaute. Heute fiel es ihn an. Das Gespött Europas war er mit einer so wüsten Frau. Da war man ein großer Fürst und Herr, der mächtigste Mann in Deutschland. Städte blühten auf und fruchtbares Gelände, wo man streichelte; fielen in Schutt, trat man zornig auf. Man hat es sich nicht leicht gemacht. Hat gearbeitet, Tag und Nacht, nach bestem Gewissen. Keine Furcht gekannt außer der Gottes. Hat seine Pflicht getan, hart und schwer, all die Tage. Was hatte man nun davon? Das Gespött Europas.

Drunten stieg Agnes in ihre Sänfte. Volk stand herum, barhaupt, bewundernd. Wäre die an Stelle der Maultasch, sie würden nicht sagen: Strafe Gottes, auch nicht bei Heuschrecken und Pestilenz.

Sah sie nicht herauf? Rasch wandte er, ein ertappter Schuljunge, sich ab.

Margarete genas wenige Wochen später eines toten Kindes. Der Markgraf verfinsterte sich, wurde kälter zu ihr. Nein, seine Ehe war nicht gesegnet. Nun war alle seine Hoffnung auf den einzigen Sohn gestellt, Meinhard, einen harmlosen, fetten Burschen, unbegabt, gutmütig, schwächlich, der gar nicht dem Großvater Ludwig, vielmehr dem mütterlichen Großvater, dem guten König Heinrich, nachzuarten schien.

Margarete ging schon nach einer Woche wieder an ihre Geschäfte. Sie arbeitete mit der gleichen Emsigkeit und Gewissenhaftigkeit wie früher. Doch die Lust war weg, die Städte waren nicht mehr ihr Geliebter.

Der kleine, betuliche Jude, der so geschickt Leben zugeleitet hatte von überallher, war erschlagen, die Kinder, die sie geboren, waren tot. Wohin sie trat, ging alles entzwei. Nichts fügte sich, nichts blühte. Der Markgraf? Ein pflichtbewußter, kahler Herr. Ihr Sohn? Ein dicklicher, dümmlicher Alltagsjunge. Was blieb ihr?

Um diese Zeit kam Konrad von Frauenberg ihr immer näher. Der häßliche Mann mit den roten Augen und dem weißblonden Haar war der fünfte von den sechs Söhnen des Trautsam von Frauenberg, eines nicht sehr ansehnlichen bayrischen Ritters, der sich aber in einer frühen Schlacht um den Kaiser Ludwig verdient gemacht hatte. So kam der junge Konrad als Knabe Kämmerling an den bayrischen Hof, dann im Gefolge des Markgrafen nach Tirol, wo er als niederer Offizier lange Zeit im Hintergrund blieb. Seine Häßlichkeit und seine rohe, mürrische, bittere Art sonderten ihn ab; er hatte keine Aussicht, je was Besseres als ein untergeordneter Soldat zu werden, bis seine dreiste, kühne Vordringlichkeit bei der Belagerung des Schlosses Tirol ihn ins Licht hob.

Alles, was in Margarete noch an Phantasie war, an Sehnsucht nach Farbe, Buntheit, Abenteuer, alle Reste von dem, was Herr von Schenna die frühere Zeit nannte, hängte sie an den harten, häßlichen Frauenberger.

Der Albino mit dem breiten Froschmaul, der knarrenden Stimme, den kurzen, groben Händen kam ihr wie eine Art verwunschener Prinz vor. Es war wie bei ihr; sicherlich war in dem plumpen Außen ein feines, zartes Innen. Man mußte ja rauh und grob werden, stak man in solcher Haut. Der Arme, Einsame, Unverstandene! Sie war besonders freundhaft zu ihm und mütterlich.

Der Frauenberger hatte sich in seiner harten, herumgestoßenen Jugend kalte, harte Verschlagenheit angeeignet. Er wußte um seine Häßlichkeit; er hielt es für ganz in der Ordnung, daß alle ihn stießen. Er hätte, wäre er nur weiter oben, auch die anderen getreten. Er glaubte an nichts auf der Welt. Geld, Macht, Besitz, Lust war das Ziel aller Menschen, Geldgier, Machtgier, Geilheit ihre Motive. Es gab nicht Lohn, nicht Strafe, nicht Gerechtigkeit, nicht Tugend. Das ganze Getriebe war ohne Sinn. Es gab Geschickte und Tölpel, im übrigen Glück oder Unglück. Er hielt es mit jenem Lied, das sachlich und überzeugt sieben Dinge als erstrebens-und besingenswert preist. Fressen ist das erste, saufen das zweite, sich entleeren des Gefressenen das dritte, des Gesoffenen das vierte, bei einer Frau liegen ist das fünfte, baden das sechste, aber das siebente und schönste ist schlafen.

Als die Herzogin ihm offenkundig ihr Interesse zeigte, zweifelte er keinen Augenblick, daß dieses Interesse nichts sei als sinnlicher Kitzel. Es war im übrigen nicht weiter verwunderlich, daß die Häßliche gerade auf ihn, den Häßlichen, verfiel. Er hatte sich beschieden; er war nüchtern, sachlich. Er hatte sich gesagt, als fünfter Sohn und mit solchem Gesicht könne man unmöglich vorwärtskommen. Er hatte aber nie aufgehört, schlau, hart, sprungbereit, scharfäugig auf der Lauer zu liegen. Jetzt lohnte sich das prächtig. Es war ein Mordsglück, daß die häßliche Vettel an ihm Feuer fing. Er wird es nutzen.

Vor seinem Burschen ließ er sich gehen, jubelte wüst, unter unflätigen Lobpreisungen der Maultasch und ihrer Gier. Er schenkte, so geizig er sonst war, dem Jungen einen Sonderkrug Weines, soff mit ihm. Bei einer Kerze, einsam mit dem Jungen, soff er die ganze Nacht. Grölte sein Lied von den sieben erstrebenswerten Dingen. Quäkte, aus dieser Maultasch werde er sich zu bedienen wissen. Streckte sich dann wohlig zum Schlafen. Ja, dies war das Schönste, was es gab. Er spürte seine vor Übermüdung schmerzhaften Glieder.

Knackte mit den Gelenken. Sperrte das breite Maul auf. Wälzte sich, gähnte wollüstig. Schlief.

Schlau und vorsichtig ging er, aber nie zu bedenklich, seine Straße. Der Markgraf, das spürte er, mochte ihn nicht. Er blieb ihm aus dem Weg. Drängte sich auch sonst nicht vor. War nur immer da und packte im gegebenen Augenblick, wenn Margarete allein war, mit frecher Vertraulichkeit zu. So sackte er Schlösser, Herrschaften, Pflegen, Gerichte ein, wurde schließlich Landeshofmeister. Nie hätte ihm jemand, er sich selber nicht, einen solchen Aufstieg vorausgesagt. Er steckte, dreist grinsend und gefräßig, alles ein. Blieb als Landeshofmeister, was er als kleiner Offizier gewesen war.

Hatte vor nichts und niemand Respekt, glaubte an nichts als an Macht, Geld, Lust.

Margarete hängte nach wie vor alle ihre Träume an den Albino. Sein scheusäliges Aussehen machte ihn zum Gezeichneten, machte ihn ihr verwandt. Es mußte, mußte in diesem breiten, fleischigen, widerwärtigen Kloß eine Seele stecken. Es kam nichts von ihm zu ihr; alle Bindung war höchstens einmal ein arges, freches, gemeines Grinsen übler Vertraulichkeit. Sie sah diese Ödnis nicht, oder sie deutete seine Leere um in bittre Resignation, in gewollte Stummheit, die ihr Zartes, Edles schamhaft versteckte und verschwieg.

Mit Besorgnis schaute Herr von Schenna zu, wie eigentlich ohne tiefere Ursache, mehr durch ein Geschehenlassen, Margarete immer weiter von dem Markgrafen wegglitt und halb gegen ihren Willen zu dem Frauenberger getrieben wurde. Der war ihm tief zuwider.

Es kränkte ihn, störte ihn zumindest, daß die wählerische Margarete sich neben ihm gerade diesen Vertrauten auslas. Hatte er denn etwas gemein mit jenem?

War es möglich, daß sie seine feine, kultivierte, empfindsame Skepsis zusammenwarf mit der rohen, niedrigen Leerheit und Glaubenslosigkeit des Bayern? Es kratzte seine Eitelkeit, daß Margarete ihm diesen Genossen ihres Vertrauens gab.

Sonst ging es Herrn von Schenna jetzt sehr gut. Die Seuche war nicht an ihn herangekommen. Er hatte geerbt, hatte auch sonst die Zeit nach der Pest genutzt, seine herrlichen Besitzungen auszubauen und abzurunden. Auf seinen Schlössern lebte er fein und behaglich, zwischen Bildern, Büchern, Schmuck und Pfauen, lehnte nach wie vor jedes Amt ab, scharrte fröhlich und besinnlich über seine weiten Obstgärten, Äcker, Weinberge, wurde täglich milder, weiser, ruhte ganz in sich wie eine gepflegte, reifende Frucht. Der Abt Johannes von Viktring, der jetzt Sekretär des Herzogs Albrecht war und übrigens nachgerade recht alt und wackelig wurde, konnte beinahe den ganzen Horaz auf ihn zitieren.

Er hätte, aus seiner Ruhe und Befriedigung heraus, Margarete gern geholfen. Er versuchte, die Bindung zwischen ihr und dem Markgrafen wieder fester zu ziehen. Solchen Versuchen war sehr förderlich, daß der Druck leichter wurde, den der Kirchenbann auf Margaretes Ehe legte.

Herzog Johann nämlich, der Luxemburger, war es längst müde, in Wahrheit ledig, vor der Kirche aber ein verheirateter Mann zu sein. Seine Stellung hatte sich durch die kluge Politik seines Bruders, des Königs Karl, sehr gebessert; er gedachte sie durch eine neue geschickte Heirat vollends zu festigen. Vorerst aber mußte er zu diesem Zweck legitim und in aller Form von Margarete geschieden sein. Er bat sie um eine Zusammenkunft. Er wolle gemeinsam mit ihr eine Formel finden, die, beiden genehm, weder ihn noch sie demütige. Ihre Interessen seien die gleichen. Dies lag auf der Hand, und Margarete war bereit, ihn zu empfangen.

So erschien Herzog Johann als Gast auf Schloß Tirol. Diesmal öffneten sich die Tore vor ihm. Trommeln, Trompeten, Ehrenbezeigungen. Johanns langes Gesicht sah immer noch knabenhaft aus. Er blinzelte aus seinen kleinen, tiefliegenden Augen Margarete ohne jede Verlegenheit an. Fand einen Ton grimmiger Schalkhaftigkeit, eine gewisse ironische Kameradschaftlichkeit, die ihr nicht übel gefiel. Sie saßen beieinander, heckten Gründe aus, drehten sie hin und her, eifrig, kneteten, schmiedeten. Kamen, befriedigt, überein. Herzog Johann habe Margarete geehelicht, trotzdem sie mit ihm im vierten Grad verwandt sei, aus Unkenntnis solcher Verwandtschaft. Wiewohl sie beide sich redlichste Mühe gegeben, die Ehe zu vollziehen, hätten sie, zweifellos infolge Verhexung Johanns, dies nicht zustande gebracht. Da nun Johann mit anderen Frauen die Ehe sehr wohl vollziehen könne und seinen erlauchten Stamm fortzusetzen wünsche, ersuche er den Papst, die Heirat mit Margarete für ungültig zu erklären. Der Papst, Freund des Hauses Luxemburg-Böhmen, werde solchem Ansuchen zweifellos willfahren.

Dies abgesprochen, frühstückte Johann noch mit Margarete. Beide waren guter Laune. »Sie sind gar nicht älter geworden, kleiner Wolf«, sagte Margarete.

»Und Sie sind, Gotts Marter! trotz allem ein Staatsweib, Herzogin Maultasch«, sagte Johann. Sie fühlten sich jeder dem andern sowohl wie der Situation überlegen; alles hatte sich reinlich gelöst; sie fanden auf dieser Basis ihre Beziehungen eigentlich ganz angenehm.

Trennten sich wohlgesinnt, mit grimmiger, verständnisvoller Vertraulichkeit.

*

Durch den Tod jener beiden Kinder Margaretes waren die Erbverhältnisse des Landes in den Bergen wieder ähnlich geworden wie seinerzeit unter dem guten König Heinrich. Einziger Erbe des Landes war der Knabe Meinhard, dessen Gesundheit schwächlich stand und dessen Geschwister alle in jungen Jahren gestorben waren. Wieder also schauten die mächtigen deutschen Herrscher nach Tirol, streckten gierige Hände aus. Die Luxemburger rundeten ihren Besitz am Rhein und an der Moldau, waren aus dem Kampf um das südliche Land ausgeschieden. Doch Wittelsbach und Habsburg saßen auf umständlichen, begründeten Ansprüchen, äugten, lauerten.

Der Habsburger vor allem, der lahme Albrecht, säte einen weiten, folgerichtigen Plan. Er selber zwar hatte wenig Hoffnung, ihn reifen zu sehen. Aber der Lahme, durch sein Siechtum bitter und weise geworden, arbeitete längst nicht mehr für den Erfolg der nächsten Tage, sondern auf weite Sicht. Für ihn galt es, Tirol zu kriegen, den Weg nach Westen, die Brücke zu den schwäbischen Besitzungen, oder auf alle Großmachtsträume zu verzichten.

Er suchte vornächst die Herren der bischöflichen Territorien zu gewinnen. Trient und Chur hatten mit den Wittelsbachern schlechte Erfahrungen gemacht; sie waren gern geneigt, dem Habsburger anzuhangen, der sie hätschelte. Auch sonst hatte Albrecht ein mildes Gesicht und eine offene Hand für alle Herren, die in Tirol von Einfluß waren. Er übertrug den Schennas, den Vögten von Matsch, dem Frauenberger Titel, Würden, Ämter, die keine Mühe und viel Geld brachten.

Dem Markgrafen selbst suchte er auf jede Weise Vertrauen und Freundschaft abzugewinnen. Er fiel ihm bei dem Angriff des Luxemburgers nicht in die Flanke, ja, er vermittelte zwischen ihm und diesem.

Bald war es so weit, daß der lahme Albrecht eine seiner Töchter dem Sohne Ludwigs, dem kleinen, dicken, harmlosen, schwächlichen Meinhard, dem Erben Tirols, vermählen konnte. Auch zeigte Albrecht, sonst ein sehr genauer Rechner, dem finanziell immer bedrängten Markgrafen eine stets offene Hand und brachte ihn dadurch in immer größere Abhängigkeit.

Dann plötzlich, als Ludwig wieder einmal eine erhebliche Summe benötigte, erklärten die Finanzräte des Österreichers, es sei diesmal leider unmöglich. Ihre Kassen seien erschöpft; ja, sie müßten ihm sogar demnächst zu ihrem größten Bedauern früher geliehene Beträge kündigen. Der Markgraf, tief betroffen, in wütiger Verlegenheit, wollte mit Blicken, mit Worten auf sie losfahren. Bezwang sich, biß sich die Lippe, ging wortlos.

Wollte sich persönlich an Albrecht wenden. Rang es seinem Stolz nicht ab. Bei einer zweiten Zusammenkunft erklärten die habsburgischen Finanzräte den seinen sehr harmlos, sie hätten einen vortrefflichen, billigen Ausgleich gefunden. Der Markgraf solle doch als Pfand für die alte und die neu geforderte Summe Österreich auf einige Jahre die Verwaltung Oberbayerns übertragen. Durch Einsparungen infolge der gemeinsamen, verbilligten Verwaltung werde Albrecht sicherlich binnen kurzem den geschuldeten Betrag aus Oberbayern herauswirtschaften.

Der Markgraf wurde blaß, als seine Räte ihm das österreichische Anerbieten mitteilten. Überflog sie mit hartem, stechenden, blauem Blick. Nein, sie lächelten nicht. Sie hatten nüchterne, ernsthafte Beamtenmienen. Er schluckte, sagte, er werde überlegen, nickte, entließ sie.

Saß, allein, schwer nieder. Zog den massigen Nacken hoch. Das Ansinnen war eine Unverschämtheit. Allein Albrecht war klug, ihm befreundet, hatte gewiß nicht die Absicht, ihn zu beleidigen. Es war also an dem, daß offenbar auf andere Art kein Geld mehr aufzutreiben war. Die Einkünfte sollte er abtreten; die Einkünfte waren nicht das Land. Immerhin, wenn das Haupt der Wittelsbacher einem Habsburger die Verwaltung seines Stammlandes übertrug, war dies, trotz allen Sicherungen, eine Einbuße, hart, hart, kaum zu ertragen.

Als er die Angelegenheit in seinem Rat vorbrachte, saß er sachlich, ruhig, behandelte das Ganze, als wäre es ohne viel Gewicht. Äugte argwöhnisch, ob seine Herren wagen würden, ihr inneres Grinsen auf ihren Gesichtern zu zeigen. Ach, lebte sein Freund noch, Konrad von Teck! Bei dem hätte er solches Mißtrauen nicht nötig gehabt. Alles wäre leichter zu ertragen gewesen. Keine Sentimentalität! Er sagte in zwei Worten, worum es ging. Äußerte keine Meinung. Bat um ihre Ansicht.

Als erster sprach der Frauenberger. Er sah natürlich wie alle andern, daß der österreichische Vorschlag auf eine glatte Erpressung hinauslief. Es lag ihm nicht das geringste weder an Ludwig noch an Albrecht, weder an Bayern noch an Tirol noch an Österreich. Der Habsburger war der Reichere und Klügere; er wird also vermutlich recht behalten. Da er überdies ihn, den Frauenberger, durch Ehrenämter und riesige Summen erkauft hat, muß er darauf sehen, daß Ludwig auf den Vorschlag eingeht. Redet er zu, so wird Ludwig, der ihn ohnedies nicht leiden mag, argwöhnisch. Umgekehrt bleibt dem Markgrafen, rät man nun zu oder ab, nichts anderes übrig, als knirschend den demütigenden Vertrag zu unterschreiben. Er, Konrad von Frauenberg, kann sich also ruhig, ohne daß der Habsburger es am Ergebnis inne wird, die spaßhafte Geste leisten, sich als patriotischer Bayer zu gebärden, dem Fürsten von den erniedrigenden österreichischen Zumutungen abzuraten.

Margarete war stürmisch begeistert von den habsburgischen Vorschlägen. Man wird Geld in Fülle haben, wird die lastenden Verpflichtungen noch aus der Zeit des guten Königs Heinrich endlich, endlich abtragen können. Wie werden, ist dieser Druck erst fort, ihre lieben Städte aufatmen! Bayern war ihr immer nur ein Anhängsel gewesen. Sie gab es gern preis für Geld.

Sie hatte von Schenna und Mendel Hirsch gelernt, was Geld ist. Was nutzte es, einen großen Leib zu haben und zu wenig Blut? Jetzt wird das Land genug Blut haben, jetzt wird es gesund werden. Ihr gutes Land! Ihre lieben, blühenden Städte!

Finster hörte der Markgraf zu. Nun erwies es sich gut, wie wenig sie ihn von je verstanden hatte. Er war Bayer, Wittelsbacher, Kaisersohn, an Weltmacht gewöhnt, gewöhnt, in Ländern zu denken. Sie war Tirolerin; wo ihre Berge endeten, hörten ihre Gedanken auf. Sie dachte bis an die Ebene, nicht weiter. Sie war die Tochter des kleinen Grafen von Tirol, eng, rechenhaft, krämerhaft. Er war der Erstgeborene des Römischen Kaisers, herrisch, weltweit, nur Gott und sich selber verantwortlich. Nein, zwischen ihm und ihr stand mehr als nur ihre Häßlichkeit.

Der feine Herr von Schenna sprach. Ludwig mochte ihn gar nicht in diesem Augenblick. Er war natürlich Margaretes Meinung, er war ja Tiroler, kein Bayer. Die Finanzen beider Länder aus eigenem großzupäppeln sei nun leider unmöglich. Da füge es sich gut, daß man den edlen Renner Bayern dem befreundeten Habsburger auf kurze Zeit zur Dickfütterung in den Stall geben könne. Bekomme man so endlich den nötigen Hafer für das gute Pferd Tirol. Wo bleibe übrigens ein anderer Ausweg?

Ja, wo blieb sonst ein Ausweg? Das war es. Es half nichts, die Gegengründe noch so hell ins Licht zu stellen. Man mußte das Angebot des Habsburgers schlucken. Der Markgraf duckte den Kopf auf den dicken, gefährlichen Nacken. Dankte den Räten, unwirsch, kurz. Sagte, er werde ihre Meinungen in Erwägung ziehen. Alle wußten, wie er entscheiden wird.

In dicker Verdrossenheit ritt Ludwig von Schloß Tirol ab, mit kleinem Gefolge, nach Norden, nach München, die letzten, nicht mehr wesentlichen Fragen zu regeln, ehe er das Land der Verwaltung des Habsburgers überstellte.

Ein trister Oktobertag. Feiner, fader, rieselnder Regen. Was hatte man vom Leben? Man regierte, man war ein großer Fürst. Aber das meiste, was man zu tun hatte, die meisten dieser feierlichen Zeremonien, Kundgebungen, Verschreibungen waren widerwärtig und beschwerten einem den Sinn. Die Verwaltung des Stammlandes dem Habsburger überlassen, ein freundlich Gesicht dazu machen, »Vergelt’s Gott dazu sagen. Er knirschte. Er sah die riesigen, stumpfen blauen Augen seines Vaters auf sich. Was hätte der dazu gesagt?

Zu Hause, die freuten sich. Der ekelhafte Schenna, der Neunmalkluge, der an allem seinen Spott hat, mit seinem frechen, faden, milden Lächeln. Der Frauenberger, der unverschämte Hammel, der von wittelsbachischer Würde quäkt, von der Bindung zwischen Wittelsbach und Bayern, und dabei innerlich seine höhnische Freude hat; denn der Giftpilz weiß sehr gut, er muß doch hineinbeißen. Die Maultasch, die an nichts denkt als an ihr Tirol, der sein Bayern ein Handelsobjekt ist, das sie gern hinschmeißt, kriegt sie nur die Gulden und Veroneser Mark. Die Häßliche, die ihn aller Christenheit zum Gespött macht! Wie sie ihm zuwider ist! Wie sie dasitzt und gespannt auf das Gequäk des Frauenbergers hört, des Albinos, des Mißgeschaffenen! Seine Frau! Seine Fürstin! Pfui! Die Maultasch!

Wirklich, in Christi Namen, was denn hatte man vom Leben? Konnte er nicht, auf dem Weg nach München, ehe er den sauren Trank schluckte, was tun, was weniger sauer einging? Wenn er etwa in Taufers zukehrte, sich mit eigenen Augen überzeugte, wie dort die Dinge standen? Es war nicht viel Zeit verloren; zudem, je länger er jenes hinausschob, so besser.

In Taufers war Agnes keineswegs so überrascht, als er wohl erwartet hatte. Ja, als der Pförtner ihr meldete, der Markgraf komme mit einigen Herren, da hatte sie wohl geatmet, die Arme gestreckt, ein sattes Lächeln um die sehr roten Lippen. Aber sie empfing den Fürsten mit gelassener Höflichkeit, keineswegs besonders geehrt. Auch das Mahl, das sie ihm vorsetzen ließ, die übrigen Zurüstungen waren zwar geschmackvoll und nicht unwürdig, aber weit entfernt von jenem prahlerischen Luxus, den man ihr nachsagte. Und mit dem sie auch weniger mächtige Herren, kleine italienische Barone etwa, bewirtet hatte.

Ludwig schaute sie an. Kerzen brannten, ein kleines Feuer im Kamin, wohlriechende Hölzer. Diener reichten Obst und Konfekt. Eine ziere Person, bei Gottes Marter und Tod! Kein Wunder, daß man viel über sie schwatzte. Aber leicht machte sie es einem nicht. Das Gespräch, das sie führte, war lau, ein bißchen spöttisch; sie ließ einen nicht heran. Der ernsthafte, ungewandte Markgraf machte ein paar hilflose Versuche, ihr etwas Galantes zu sagen. Sie schaute ihn ruhig und ohne Verständnis an. Nein, sie war geradezu spröde.

Um so unerwarteter kam andern Tages ihre gleichmütig vorgebrachte Bitte, sich dem Markgrafen auf der Reise nach München anschließen zu dürfen. Sie wolle ihre Schwester besuchen, habe auch sonst im Bayrischen Geschäfte.

Der Markgraf, zögernd, betreten, schwieg. Diese Bitte kam ihm ungelegen. Es wird Geschwätz geben.

Er war ein ernsthafter, fester Mann, zudem nicht in den Jahren, derartige Historien zu machen; es paßte ihm durchaus nicht, daß sich Geschwätz an ihn hängte. Aber er konnte der Dame – denn das war sie immerhin –, deren Gastfreundschaft er in Anspruch genommen hatte, unmöglich die kleine Gefälligkeit abschlagen. Leicht knurrend, schwerfällig, unwirsch sagte er, er freue sich.

Auf der Reise war sie dann sehr sittsam, zurückhaltend, unauffällig. Hielt sich die meiste Zeit in ihrer verschlossenen Sänfte. Einsam, hinter den Vorhängen der Sänfte, kaute sie, schlang sie ihren Triumph. Die andere, die Feindin, saß auf Schloß Tirol, nannte sich Markgräfin zu Brandenburg, Herzogin zu Bayern, Gräfin zu Tirol. Hatte ihren soliden, ehrenfesten Gatten. Hatte ihm Kinder geboren. Sich in ihn, ihn in sich eingelebt. Aber jetzt zog sie, Agnes von Flavon, mit diesem Markgrafen herum in dem angeerbten Land der Feindin.

Ludwig erledigte in München hochmütig und unfrei seine verdrießlichen Geschäfte. Agnes hatte sich bei der Ankunft sogleich mit höflichem, nicht übertriebenem Dank verabschiedet. Jetzt hätte er seine unmutigen Abende gern zuweilen durch ihre Gegenwart erhellt. Ein erstes Mal versagte sie sich, ein zweites Mal kam sie. Er gewöhnte sich an sie. Sie ging aufs Land zu ihrer Schwester. Er verzögerte seine Rückreise, bis sie sich anschließen konnte.

Auf dieser Rückreise durch strahlenden Spätherbst verschloß sich Agnes nicht mehr in der Sänfte. Schimmernd ritt sie auf geschmücktem Pferd an der Seite des Markgrafen, den Kopf hochmütig geradeaus.

Geld floß ins Land. Die riesigen Summen für die Verpfändung Bayerns. Die Industrie holte Atem. Die Bergwerke, die Salzwerke. Die Straßen wurden ausgebaut, der Handelsverkehr erleichtert, geregelt. Die Städte streckten sich, weiteten sich. Die Bürger stolzierten breit, gravitätisch. Ihre Häuser wurden höher, füllten sich mit edeln Möbeln, Kunstwerken, Gerät.

Mauern, Türme, Rathaus, Kirchen wuchsen. Geflügel, Würzwein kam auch am Werktag auf den mit gutem Geschirr gedeckten Tisch des Bürgers. Prächtiger als die Frau des kleinen Adeligen schritt in Seide, stolzen Bändern, riesiger Haube, Schleppe, Schmuck die Frau der Städte.

Seit wann war diese glückliche Veränderung? Seitdem der Markgraf mit der schönen Agnes von Flavon zusammen war. Agnes von Flavon, die Schöne, Gesegnete. Sicher war sie es, die den glücklichen Plan gehabt hat, Bayern abzustoßen, alle Kraft und alles Geld nach Tirol zu leiten. Alle Gnade Gottes auf unsere schöne Agnes von Flavon! Man sah ja, wie sie auserlesen war.

Sichtbarlich von ihrem himmlisch schönen Antlitz strahlte aller Segen der lieben Mutter Gottes. Die andere dagegen, die Maultasch, war gezeichnet. Der Zorn des Himmels war auf ihr. Verflucht war, was sie tat. Ihre Kinder starben. Seuchen fielen ein, Brand, Wasser, Geziefer, wo sie die Hand anlegte. Alles, was sie rät, was sie tut, ist verflucht. Hat sie nicht die Verbindung herbeigeführt mit Bayern, den Keim alles Verderbens? Hat sie nicht die harten, habgierigen bayrischen Herren herbeigerufen, die das Land aussogen?

Hängt sie nicht an dem Frauenberger, der scheußlichen Mißgeburt? Hat sie ihn nicht zum Landeshofmeister gemacht? Ein Glück, daß sich der Fürst von ihr abgewandt hat. Jetzt endlich hat er erkannt, wo das Rechte lag. Jetzt ist gute Zeit. Gott segne unsere liebe, schöne Agnes von Flavon!

Agnes sah das Volk an ihrer Straße, wie sie Bäume und Häuser sah, brauchte seinen Zuruf, wie sie Schmuck brauchte. Lächelte. Schritt durch die Gaffenden, sie Bewundernden, sah nicht rechts, nicht links, den Kopf geradeaus, mit schmalen, kühnen, hochmütigen Lippen. Und das Volk jubelte.

*

Margarete, sehr weit weg von ihrem Gatten, sehr weit weg von ihrem Sohn Meinhard, ging herum, schwer, in sich versponnen. Wußte nichts als das einzige: von Agnes und ihren Siegen. Sah Schenna, sah den Frauenberger. Sah die Städte aufatmen, sich recken, sich weiten. Ihre Saat, ihr Werk. Sie war ausgehöhlt, sie war leer und arm. Was einer jeden gegönnt war, ihr war es versagt. Doch dies wenigstens war getan. Dies wenigstens, es war ihr einziges, blieb.

Um so deutlicher sah Schenna. Sah, wie das Volk alles Gute, was die Häßliche gewirkt, der Schönen zuschrieb. Dies Erkennen wollte er ihr, dieses schmerzhafte Aufwachen, ersparen. Auch sah er, wie Ludwig immer mehr in Taufers sich verstrickte. Noch wehrte sich erstaunt und schwer atmend der dumpfe, hilflose Mann, der solche Wirrnis das erstemal erlebte. Noch war es Abenteuer, vorübergehend, begrenzt. Aber bald wird es, in wenigen Wochen vielleicht schon, zu spät sein, bald wird er willentlich und unlösbar verknüpft sein.

Er wollte ihn zurückhaben zu Margarete. Er wollte das Volk zurückhaben zu Margarete. Das Volk war dumm, instinktlos. Es war an sich gleichgültig, was es dachte. Jedes Tier war klüger und hatte mehr Instinkt.

Aber es soll nicht sein, daß Margarete auch dies Letzte von sich fortgleiten sah.

Er mußte vor allem dahin wirken, daß endlich diese alberne kirchliche Verfemung von ihr genommen wurde. Der Makel der kirchlich Ausgestoßenen scheuchte das Volk von ihr, scheuchte den Gatten von ihr. Denn war auch ihre Ehe mit Johann in aller Form gelöst, so daß sie der Kirche nicht mehr als Ehebrecherin galt, so war gleichwohl ihr Zusammenleben mit Ludwig vom Papste noch keineswegs sanktioniert. Die Kirche betrachtete ihre Ehe als Konkubinat, ihren Sohn und Kronprinzen Meinhard als Bastard. Belegte nach wie vor sie und ihren Mann mit dem Bann, ihr Land mit dem Interdikt. Wohl hatte der Markgraf Gesandte nach Avignon geschickt, jede Genugtuung angeboten, die der Heilige Vater fordern konnte; allein der Papst, von Kaiser Karl gehetzt, weigerte sich.

Jetzt war Klemens tot, sein Nachfolger, der sechste Innozenz, stand stark unter dem Einfluß des Habsburgers. Der lahme Albrecht mußte selber alles Interesse haben, daß seine Tochter nicht mit einem Bastard, sondern mit dem von der Kirche anerkannten Erben Tirols vermählt sei. Schenna arbeitete mit einer an ihm ungewohnten Rastlosigkeit. Fuhr von Ludwig zu Albrecht, von Albrecht zu Margarete. Von München nach Wien, von Wien nach Tirol.

Albrecht stellte Bedingungen. Er säte, er säte für die Zukunft. Seine Tochter wird durch die Vermählung mit Meinhard Anspruch haben auf das Land in den Bergen. Aber der junge Meinhard war ein Wittelsbacher. Auch die Wittelsbacher werden, in gewissen Fällen, Ansprüche machen. Es hatte sich gezeigt, daß das schwierige Land am Schluß immer dem verblieb, dem das Volk als seinem rechtmäßigen Herrscher anhing.

Die Maultasch war nicht beliebt, aber als der einzige legitime Nachfahr der alten Grafen von Tirol vom Volk mit religiöser Selbstverständlichkeit als rechtmäßige Eignerin des Landes angesehen. Sie hatte darüber zu verfügen; wem sie es übermachte, der hatte das Volk auf seiner Seite. Albrecht verlangte nichts von Ludwig, dem Wittelsbacher; aber er forderte ein bindendes Testament von Margarete. Für den Fall, daß sie, ihr Gemahl Ludwig, ihr Sohn Meinhard ohne Leibeserben abgingen, solle das Land an die Herzöge von Österreich fallen. Eine Formsache. Eine reine Formsache, betonte er dem Herrn von Schenna. Dazu noch für einen höchst unwahrscheinlichen und unerwünschten Fall. Aber er war nun einmal ein Pedant; er verlangte diese, Margaretes, Unterschrift. Dafür verbürgte er sich, vom Papst für Ludwig und Margarete Lossprechung von Bann und Interdikt zu erwirken.

Schenna hielt diesen Vorschlag für sehr vorteilhaft.

Ihm waren die heiteren, umgänglichen Österreicher von jeher lieber als die dumpfen, gewalttätigen Bayern.

Margarete saß über dem Schriftstück, allein; es war später Abend. Also den Habsburgern soll sie das Land übermachen. Nun ja, sie hat es dem Luxemburger zugebracht, dann dem Wittelsbacher; warum nicht dem Habsburger? Der lahme Albrecht war zweifellos der klügste und tüchtigste unter den deutschen Fürsten.

Und sein Sohn, der Rudolf, kühn entschlossen, gescheit. Tüchtige Leute, die Habsburger. Sie werden sicher auch Tirol sehr tüchtig regieren. Sie hatten Österreich, Kärnten, Krain, die schwäbischen Vorlande, Görz, verwalteten Oberbayern. Sie werden Tirol nicht schlechter verwalten.

Tirol! Ihr Tirol! Gerade erst hat sie es von Bayern losgeeist. Jetzt dann soll es zu sechs Ländern ein siebentes sein. Ein Verwaltungsobjekt für fremde Fürsten. Ihr Tirol!

Nicht hitzig. Das alles zielt sehr ins Weite. Vorläufig ist ihr Sohn noch da. Er ist nicht so gescheit und kühn wie Rudolf, wie Albrechts Söhne. Er ist, zugegeben, ein etwas belangloser junger Mensch. Aber er ist ihr Sohn.

Der Urenkel des Grafen Meinhard. Was geht eigentlich jene anderen Tirol an? Und wenn ihr Sohn vollkommen verblödet wäre; er ist Tirol.

Sachte, sachte. Es will ihm ja niemand an. Für den Fall, daß er ohne Nachkommen – Er zielt sehr ins Weite, der kluge Albrecht, der lahme, bittere. Eigentlich seltsam, daß man gerade von ihr die Unterschrift will.

Ihr Mann, der Markgraf, der Kaisersohn, der Wittelsbacher: aber der kluge Albrecht will ihre Unterschrift, nicht seine.

Was Ludwig wohl darüber denkt? Tüchtig ist er auch. Er versteht sich gut mit dem Habsburger. Seltsam, daß man ihn nicht darüber befragt hat. Weiß der kluge Albrecht schon so genau, wie weit er von ihr weg ist? Früher hätte er sich mit ihr darüber ausgesprochen. Jetzt ist er fort. In Bayern. Mit Agnes. Sie schaut vor sich hin, ihr breiter, wüster Mund verzieht sich, trüb, nicht sehr bitter. Warum soll Ludwig nicht an Agnes von Flavon sein Pläsier haben? Sie ist sehr schön. Er ist nicht mehr der Jüngste. Hat sich abgerackert. Jetzt ist er Bayern los. Kann ein wenig ausschnaufen. Sie ist sehr schön. Warum soll er nicht sein Pläsier haben?

Sie erhob sich, schwer, ein wenig ächzend. Überlas noch einmal die Urkunde. Sie war lang und umständlich. »Wir Margarete, von Gottes Gnaden Markgräfin zu Brandenburg, Herzogin zu Bayern und Gräfin zu Tirol, allen Christenmenschen ewiglich, die diesen Brief je sehen, lesen oder hören jetzt und später, Unsern Gruß und die Kenntnis nachgeschriebener Dinge.

Wenn es geschieht, was Gott in seiner Gnade nicht verhänge, daß Wir und der durchlauchtige Fürst, Unser herzenslieber Gemahl, Markgraf Ludwig von Brandenburg, abgehen ohne Leibeserben, die wir miteinander gewinnen, und auch wenn Unser lieber Sohn, Herzog Meinhard, abginge, was Gott nicht wolle, ohne Leibeserben, daß dann Unsere obgenannten Fürstentümer und Grafschaften, Länder und Herrschaften mit der Burg zu Tirol und mit allen anderen Burgen, Klausen, Festen, Städten, Märkten, Dörfern, Leuten und Gerichten soll fallen gänzlich zu rechtem Erb und Vermächtnis den vorgenannten Unsern lieben Oheimen, den Herzögen von Österreich –«

Sie ließ das Schriftstück zurückgleiten, unbehaglich, daß es sich knisternd auf dem Tisch zusammenrollte.

Sie verließ das Zimmer. Machte mit ihren schweren, schleppenden Schritten den Rundgang, den sie jede Nacht vor dem Schlafengehen zu tun gewohnt war.

Einsam schleppte sich, in ihrem prunkvollen Gewand, das sonderbar leblos an ihr niederfiel, die häßliche Frau durch die Säle, Stuben, Korridore, der ungeschlachte Schatten der Kerze ihr voraus.

Sie kam an die Spinnstube. Die plumpe Tür öffnete sich ohne viel Geräusch. Die Mägde waren fertig mit der Arbeit, ein paar Knechte waren da. Alles drängte sich in einem Knäuel um eine junge, untersetzte Magd, die breit, verlegen, amüsiert grinsend dastand. Um sie herum Gekreisch, Stöße von Gelächter. Was? Sie begriff es wirklich nicht? Sie war die einzige in Tirol, die es nicht kapierte. Nochmals also. Die Pechmarie war schiech und wüst; wo sie hintrat, verdorrte alles, schrumpfte ein. Die Goldmarie strahlte himmlisch schön. Was sie anrührte, blühte, Gold klingelte unter jedem ihrer Schritte. Wer also war die Goldmarie? A –Ag – Endlich ging es auf, breit, leuchtend, auf dem Gesicht der Magd. Agnes von Flavon! Natürlich. Und die Pechmarie? Ah! Großes Staunen. Und nun schütterte es auch sie in stürmischem Lachen.

Unter dem Gekreisch und Gewieher hatte man die Herzogin nicht bemerkt. Still war sie mit ihrer Kerze im Schatten der halbgeöffneten Türe gestanden. Jetzt, langsam, zog sie die Türe zu. Ging. Schleppte sich über die Korridore. Zurück vor das Dokument.

Breitete die Urkunde vor sich hin. »Wir Margarete, von Gottes Gnaden Markgräfin –« Das Pergament knisterte. Sie tunkte die Feder ein, umständlich, unterschrieb.

Der lahme Albrecht saß in seiner Burg in Wien in Schlafrock und Decken. Nebenan lag auf einem Tisch unter andern Papieren die Urkunde Margaretes. Sein Sohn Rudolf war da, der Bischof von Gurk, der uralte Abt Johannes von Viktring. Der betagte Herzog hatte die Letzte Ölung empfangen; er wußte, daß er in wenigen Stunden verlöschen werde. Er saß in seinem Lehnstuhl, fror trotz der Decken in dem überheizten Zimmer, fühlte mit fast wohligem Schmerz, wie langsam das Leben aus ihm herausrann. Sah im übrigen wie stets klar, ruhig, mit einer gewissen heiteren Bitterkeit.

Rudolf fragte das drittemal, ob er nicht die anderen Brüder beschicken solle. Sein festes Gesicht, blond, bräunlich, nicht hohe, eckige Stirn, Hakennase, starke Unterlippe, blickte ernst, sachlich, selbstbewußt, unsentimental. Der Lahme lehnte zum drittenmal ab. Die Jungen hatten zu tun, sein Sterben sollte sie nicht stören.

Er atmete still, die ungelähmte Hand öffnete sich, schloß sich, öffnete sich. Er hatte ein gutes Leben gelebt, soweit ein menschliches Leben gut sein kann. Es war Mühe und Arbeit gewesen. Es war Erfolg gewesen.

Er hatte sich gefördert und seine Länder gefördert. Er war mit sich in Frieden, er war mit den Menschen in Frieden, er war mit Gott in Frieden.

Sein Sohn Rudolf erbte ein gutes Erbe. Schön war es und eine Gnade Gottes, daß er das Dokument noch zu sehen bekam, das ihm Tirol sicherte. Jetzt war alles geschlossen, von Schwaben bis Ungarn geschlossenes habsburgisches Land. Gut und christlich regiert, in Ordnung und Fug. Seine Söhne gescheite, feste Männer. Er weiß schon, warum er sie nicht mit seinem Sterben inkommodiert.

Da fährt er also hin, der Letzte von den dreien. Der Luxemburger, der Johann, ist einen albernen Tod gestorben, einen dummen, ritterlichen Tod auf einem Schlachtfeld, das ihn nichts anging. Der Bayer, der Ludwig, ist einen unvorbereiteten, leichtfertigen Tod gestorben, auf der Jagd, mitten zwischen schwankenden, ungeordneten Geschäften, einen unentschiedenen Tod ohne Richtlinien und Gesicht, einen Tod, so halb und blöde und nichtssagend wie sein ganzes Leben. Er, Albrecht, hat sich niemals Römischer Kaiser genannt, hat nie nach der Römischen Krone gestrebt, hat sie nicht gehabt und hat sie nicht gewollt. Aber wenn man es recht erwägt – er lächelte ein mildes, listiges Lächeln –, war immer er der mächtigste gewesen von den dreien, der eigentliche Schiedsrichter der Christenheit, und immer war geschehen, was er gewollt hatte.

Er fühlte sich jetzt schrecklich müde. Rief – es verwehte heiser – nach Rudolf. Der wandte sich schnell ihm zu. Der Lahme tastete mit der gesunden Hand nach der des Sohnes. Sie fiel herunter, ehe sie den Sohn erreichte. Auch der Kopf sank vornüber.

Rudolf stand gerafft, fest. Jetzt war er das Haupt der Habsburger, der mächtigste Mann unter den Deutschen. Der Bischof von Gurk betete. Der uralte Abt Johannes von Viktring strich mit der dürren, braunen Hand über das Pergament Margaretes. »Aufgerichtet hab ich ein Denkmal dauernder als Erz«, zitierte er murmelnd einen antiken Klassiker. Dann schlurfte er zu Albrecht hinüber. Sah, daß er tot war. Riß sich zusammen, streckte sich, schwankte, stand. Machte seine Stimme so fest wie möglich. Setzte mehrmals an, verkündete: »Defunctus est Albertus de Habsburg, imperator Romanus Der Bischof und der Fürst sahen sich an; nie hatte der Tote diese Würde gehabt, nie sie angestrebt. Der Uralte wiederholte, mit Anstrengung, schwankend, feierlich: »Gestorben ist Albrecht von Habsburg, Römischer Kaiser Dann sank er in sich zusammen, schlurfte zurück zu dem Tisch, bekreuzte sich, mummelte.

Die kleine, der heiligen Margarete geweihte Kapelle der Münchner Hofburg ist dick voll von prunkenden Würdenträgern. Draußen ist klarer, leuchtender, hellbrauner Herbst. Drinnen reiben sich die Rüstungen der weltlichen Herren, die strotzenden Ornate der geistlichen; aneinandergepreßt stehen sie. Die Herzöge von Österreich, Rudolf, Leopold, Friedrich, ihre Kanzler und Marschälle, Johann von Platzheim, Pilgrim Strein, die bayrischen und tirolischen Herren, die Marschälle, Burggrafen, Oberjägermeister, Landeshofmeister des Markgrafen, die Schenna, Frauenberger, Konrad Kummersbrucker, Dipold Häl. Violett und lachsfarben die Ornate der geistlichen Fürsten. Die Bischöfe von Salzburg, Regensburg, Würzburg, Augsburg, Dekane, Pröpste, Domherren. Die Pfarrer zu Tirol, Teisendorf, Pyber. Fahnen, päpstliche, weltliche.

Weihrauch. Draußen, von Militär zurückgehalten, Volk. In allen Fenstern, auf den besonnten herbstlichen Bäumen, auf allen Mauern, Vorsprüngen Volk.

Drinnen knieten Ludwig und Margarete vor den päpstlichen Kommissaren, dem Bischof Paul von Freising und dem Abt Peter von Sankt Lamprecht. Gestern war ihre Ehe formal geschieden und ihnen aufgegeben worden, getrennt zu leben. Jetzt verlas der Bischof feierlich das päpstliche Reinigungsdekret: Nachdem Ludwig von Bayern, Erstgeborener weiland Ludwigs von Bayern, der sich als Römischer Kaiser führte, alles erfüllt habe, was der Papst von ihm gefordert, nachdem er persönlich seine Vergehen gegen die Kirche bekannt, gäben er und der Abt Peter als päpstliche Kommissare diesem besagten Fürsten und der Fürstin Margarete Dispens wegen zu naher Verwandtschaft, erlaubten ihnen, die Ehe neu einzugehen, legitimierten den bereits geborenen Prinzen Meinhard. Lösten von Ludwig und Margarete allen Makel und Infamie, machten sie fähig, Privilegien, Lehen, Güter, Rechte zu besitzen. Nähmen sie wieder auf in den Verband der Kirche. Befreiten ihre Länder vom Interdikt.

Dann öffneten sich überall in Bayern und Tirol die Kirchentüren, die viele Jahrzehnte durch geschlossen waren. Die Glocken, die so lange stumm geblieben, schwangen an, tönten. Das Volk, ausgehungert nach geistlicher Erhebung, strömte in die Kirchen. Männer, Frauen, herangewachsen, ohne je Gottesdienst und Glockenklang erlebt zu haben, hörten zum erstenmal eine Messe, trieben staunend und beglückt auf den frommen Wellen der tönenden, blendenden, pomphaften Anbetung des dreieinigen Gottes.

*

»Ich mache kein Geschäft mehr mit den Habsburgern rief heftig mit seiner harten Offizierstimme Herzog Stephan von Niederbayern und warf den Metallhandschuh klirrend auf den Tisch. Er stand auf, ging hin und her. Aus dem eckigen Schädel schauten seine mißtrauischen, kalten Augen bösartig und zürnend auf den Bruder, den Markgrafen, der sitzen geblieben war, den Kopf müde zum Tisch geneigt, daß der Nacken noch massiger sich wulstete. Der große Saal in der Münchner Hofburg war trotz allen Heizens nicht recht warm geworden, draußen flockte ein widerwärtiges Gemengsel von Schnee und Regen.

»Also nicht«, sagte der Markgraf, und seine Stimme war mühsam und gedrückt. »Ich lasse Ihnen dann, Herr Bruder, das andere Dokument ausfertigen, wie wir es besprochen haben

Herzog Stephan preßte die Lippen zusammen unter dem strammen, dicken, schwarzbraunen Schnurrbart.

Er trat näher, erklärte seine Heftigkeit. »Wir sind in den vielen unangenehmen Erbfragen leidlich auseinandergekommen. Wir haben einander nichts vorgemacht. Haben klar und sachlich jeder sein Interesse gewahrt, ohne viel Worte und Flausen, und einer dem andern nicht eingeredet. Es hat jeden von uns sechsen ins Herz gebrannt, daß wir die Länder so haben zerstücken und zerteilen müssen und Wittelsbach klein machen. Es war eben sonst kein Ausweg und Auskommen, und wir haben nicht groß darüber geredet. Aber, Herr Bruder«, und er hob die Stimme und knarrte anklägerisch, »daß Sie das tirolische Testament für Habsburg zugelassen haben, Sie, der Chef der Wittelsbacher, das zwingt mir den Mund auf. Es ist eine rein tirolische Angelegenheit, ich weiß, und geht mich nichts an; ich hab mich auch nie in Ihre Angelegenheiten gemengt. Aber das beißt mich zu arg, es giftet mir das Blut, ich muß es Ihnen sagen

Der Markgraf antwortete nicht. Seine harten, stechenden blauen Augen schauten stumpf vor sich hin; er sah sehr viel älter aus als der nur um weniges jüngere Bruder. Wie er, der sonst zufuhr und keine Gegenrede schuldig blieb, auch fürder geduckt und stumpf schwieg, sagte Herzog Stephan etwas gesänftigt: »Sie können sagen, daß es Sache Ihrer Frau war, nicht Ihre; Sie können auch sagen, daß die Lösung von Kirchenbann und Interdikt eine gute Zahlung ist für das zweifelhafte Stück Papier, und Sie haben recht.

Aber ich hätte es doch nicht zugelassen an Ihrer Stelle und von den andern Brüdern auch keiner und der Vater auch nicht, wenn er noch lebte Der Markgraf hockte müde, sonderbar verloschen. Solche Verlorenheit des sonst so harten und heftigen Mannes war dem Bruder unbehaglich. Er sagte, und es klang fast wie eine Entschuldigung: »Ich glaub’s, es ist kein Leichtes, die Maultasch zum Weib zu haben und den Frauenberg zum Landeshofmeister

Den Markgrafen, wie er allein war, fiel ein dumpfer, lahmer, hilfloser Zorn an, wie er ihn nie gespürt. Was war denn das gewesen? Da saß er in seiner Hofburg, und sein jüngerer Bruder stand vor ihm, der Stephan, der Nichtige, der Mittelmäßige, der Wicht, mit seinem armseligen Niederbayern, und schimpfte ihn zusammen wie einen Lausbuben. Und er – ja wie in aller Welt kam denn das? –, er saß und ließ es sich gefallen. War es so weit mit ihm gekommen? War er so lahm?

Der Stephan hatte recht, das war es. Die Habsburger regierten zusammen, überließen dem klugen Rudolf die Führung. Er war ihr Haupt, sie waren ein Ganzes, ihre ganze, große Ländermasse einheitlich gesteuert.

Wittelsbach war zersplittert und zerstückt, in sechs Fetzen zerrissen. Er hatte es geschehen lassen, er, der Älteste. Und nicht nur das. Er hatte den Habsburgern Vorschub getan. Mit dem Judenschlag war es angegangen. Das war der erste Fehler gewesen. Hätte er seine Juden geschützt wie der lahme Albrecht, niemals wäre sein Beutel so leer und zerlöchert worden. Niemals hätte er sein Bayern den österreichischen Finanzräten ausliefern müssen. Jetzt saßen sie dick und zahlreich im Land, kontrollierten, schalteten nach Belieben.

Überall, unter, neben, über dem wittelsbachischen der rote Löwe Habsburgs. Er fühlte die riesigen, starren Augen des Vaters auf sich. Er schnaufte. Der Bruder hatte recht.

Nicht darüber grübeln. Der Fehler war gemacht. Die Juden waren tot; die am Leben geblieben waren, ließen sich durch keine Versprechungen mehr zurücklocken.

Das Land war kahl und ohne Geld, und der Habsburger verwaltete es.

Unsinn! Darum ging es ja gar nicht. Niemand hatte ihm das vorgeworfen. Um das Testament ging es. Um das Testament, das sein Weib gemacht hat, die Häßliche, die Maultasch. Daran mußte man sich klammern, das war festzuhalten. Er war froh, vor sich selber alle Schuld ihr zuzuschieben. Wie hatte der Bruder gesagt?

Es ist kein Leichtes, die Maultasch zum Weib zu haben.

Nein, daß dich Gottes Marter schände, es ist kein Leichtes! Er trieb sich hinein in eine dumpfe Wut gegen das Weib. Sie war an allem schuld, auch an dem Verwaltungsvertrag mit den Habsburgern. Da saß sie, die Häßliche, die Maultasch, mit ihrem lächerlichen Liebhaber, dem Frauenberger, dem Mißgeschaffenen, Quäkenden. Da saßen sie und machten ihm sein Bayern kaputt. Das Gespött Europas. Oh, er hatte schon das rechte Gefühl gehabt damals, als sein Vater ihn auf und ab schleifte und er sich weigerte, das Weib zu heiraten. Er starrte vor sich hin. Schnaufte, knurrte, stöhnte.

Ging zu Agnes. Die lag auf einem Ruhebett, der Falkenierer stand vor ihr. Sie hatte den Handschuh an, spielte mit dem neuerworbenen Vogel. Sie sah sogleich, der Markgraf brannte darauf, mit ihr zu sprechen. Aber sie ließ ihn warten. Beschäftigte sich mit ihrem Falken, führte ihn vor, dachte gar nicht daran, den Falkenierer wegzuschicken.

Ludwig drückte heraus, er habe heute wenig übrig für Falkenbeize und Sport. Oh, der Herr Markgraf sei verstimmt? Habe Ärger gehabt? Das tue ihr leid. Mit dem Herzog Stephan? Sieh da! Der Herr Herzog sei doch ein ganz umgänglicher Herr. Er habe vom Testament der Markgräfin gesprochen? Und von dem bayrisch-habsburgischen Verwaltungsvertrag? Davon nicht? Doch, auch, freilich nur nebenher.

Wenn sie doch endlich den Kerl mit dem Falken wegschicken wollte! Aber sie dachte gar nicht daran.

Bedeutete es ihr so gar nichts, daß Stephan das gewagt hatte? Und war es ihr so nebensächlich, daß er sogleich von seinem Bruder weg zu ihr kam? Der Vogel öffnete die Flügel, schloß sie. Sie streichelte ihn, gab ihm Hätschelnamen. Ein großer heimlicher Triumph war in ihr. War es endlich an dem? Brach es endlich los?

Stürzte das Haus der Feindin, das mühsam errichtete, endlich zusammen?

Also von dem bayrisch-habsburgischen Vertrag habe Herzog Stephan gesprochen? Nun, sie verstehe ja nichts von Politik. Aber, ganz ehrlich, gewundert habe sie sich immer. Ein so großer, weiser Fürst – und läßt die Verwaltung seines Landes einem andern! Ganz beiläufig warf sie es hin, dem Falken die Haube abziehend, wieder aufsetzend. Stritt sogleich wieder mit dem Falkenierer, wie lange man jetzt den Vogel hungern lassen solle. Still jubelte sie: Allen Saft herausquetschen aus Tirol, ihn fortleiten, nach Bayern, irgendwohin. Verdorren machen das Werk der Feindin.

Ludwig saß gepreßt in großer Bitternis. Ein Narr war er gewesen. Selbst die Kinder sahen klarer, worauf es ankam. Niemals hätte er die Verwaltung Bayerns weggeben dürfen. Und hätte er alle seine Städte und Einkünfte dem Messer Artese verschreiben müssen.

Das Testament Margaretes, da war nun nichts zu machen. Aber den Verwaltungsvertrag, der lief ab in wenigen Monaten: er wird ihn kündigen. Komme, was will!

Agnes lag auf dem Ruhebett, kümmerte sich kaum um ihn. Der Falkenierer war noch immer da. Wäre sie allein gewesen, er hätte sich auf sie gestürzt, sie geschüttelt: Höre, lach nicht über mich! Ich sag den Vertrag auf! Ich schmeiß die habsburgischen Beamten heraus! Lach nicht über mich, Luder! Und er hätte sie gepackt, daß ihr das Lachen und die Gedanken an den Falken vergangen wären. Aber der Falkenierer stand da mit seinem dummen, respektvollen Gesicht, und Agnes sah gar nicht auf zu ihm.

Konrad von Frauenberg verhandelte mit Räten des Bischofs von Brixen. Das Bistum war ganz in Abhängigkeit des Markgrafen geraten, Konrad gab das den Herren deutlich zu spüren. Vergnügt saß der quäkende Mann, beschaute aus kleinen rötlichen Augen die schwitzenden Herren, schikanierte sie breit, behaglich.

Warf ihnen schließlich, den armen Schluckern, mit verächtlicher, grausamer Jovialität ein paar Brocken hin. Sein Sekretär, ein unscheinbarer Kleriker, protokollierte still, mit ängstlicher Gewissenhaftigkeit.

Als die Herren gegangen waren, gab der Frauenberger dem Sekretär Weisung für etliche Briefe an Amtleute seiner eigenen Besitzungen. Immer wieder mußte man diesen Herren das gleiche vorkauen. Sie sollen doch – daß der dreigeschwänzte Satan sie hole! – nicht so schlapp sein. Nicht immer Steuer nachlassen. Nicht immer die Termine für Fronleistungen und Robot prolongieren. Und diese alberne Gefühlsduselei in der Verhängung von Strafen. Einen Dieb nur mit Pranger und Gefängnis zu züchtigen, weil er aus Not handelte.

Blödsinn! Jeder handelt aus Not. Dem Schuft wird die Hand abgehauen wie bisher. Einen Wilderer schonen, weil er Familie hat! Sein Wild hat auch Familie; hat jener es geschont? Der Kerl wird zu Tod gehetzt. Das ist guter alter Brauch. Mit der modernen Humanität wird auf seinen Gütern nicht erst angefangen. Der Frauenberger quäkte, der stille Sekretär schrieb.

Allein dann, strich sich der häßliche Mensch das farblose Haar zurück, dehnte sich, legte sich auf Polster, knackte mit den Gliedern, gähnte, faul und vergnügt. Es war eine wohleingerichtete Welt, und er verstand sich darauf. Er hat es, Gotts Marter, weit gebracht. Der Markgraf ist fast immer auf Reisen, bei seiner Agnes, sonstwo. Warum auch nicht? Warum soll er nicht der Maultasch die schöne Agnes vorziehen?

Er, der Frauenberger, hat freilich viel Arbeit, wenn der Markgraf außer Landes ist: die Maultasch und Tirol.

Viel Arbeit, wüste Arbeit. Aber profitlich, das ist nicht zu leugnen. Auch könnte es ihm Ludwig nicht leichter machen, mit ihm auszukommen. So spart ihm der Fürst die Mühe, sich mit ihm auseinanderzusetzen.

Er beschaute seine dicken, roten, fleischigen Hände.

Er hat seine Männlichkeit offenbar unterschätzt. Man muß nur selber daran glauben, dann glauben auch die Weiber daran. Heute wird ihm jede kirr, die er mag.

Er rekelt sich, pfeift, grinst. Steht faul auf. Holt sich Tusche, Pinsel, Pergament. Zeitvertreib für freie Stunden, wenn man nicht schläft. Heute hat er Lust, ja. Der Schenna hält ihn für stumpf. Glaubt, er habe kein Aug für das, was schön ist. Der Schenna ist kein Esel; aber wenn er meint, er habe allein den Sinn gepachtet für das, was schmeckt und rund ist und sich glatt und wohlig anfaßt, dann irrt er sich, der Geck, der Zierbold! Er legt sich das Pergament zurecht. Ho! Er weiß sehr genau, worauf es ankommt bei der Schönheit. Er grinst, pfeift sein Lieblingslied vor sich hin, das von den sieben Freuden des Lebens, beginnt zu arbeiten.

Sein breites Maul zieht sich wohlgefällig auseinander, er schnalzt, schmatzt, gurgelt, quäkt, rülpst. Strichelt, pinselt. Bunt, säuberlich. Frauenkleider, Brüste, Gesicht. Vertieft sich in die Arbeit.

Sieht auf. Margarete steht hinter ihm. Ihr wüstes Antlitz ist sonderbar lächerlich verzerrt. Sie hat offenbar gesehen; es hat durchaus keinen Sinn zu verstecken, zu leugnen. Er schaut sie frech an, verzieht den breiten Mund, quäkt, nachlässig: »Ein Amulett

»Ein Amulett? Das? Das saubere, liebevolle Bild der Person?« Er, naiv, dreist: Ja, natürlich. Er habe Grenzstreitigkeiten mit ihr, sie wisse doch. Dazu ihr unheilvoller politischer Einfluß auf den Markgrafen.

Sie schaut ihn finster an mit ihren starken, erfüllten Augen. Er hält stand, kalt, gleichmütig. Er solle ihr das Bild geben, sagt sie schließlich.

»Warum nicht quäkte er. Es sei ein nicht gerade frommes Amulett. Man könne seinen Willen, seine Wünsche hineinhexen. Ihre Wünsche für jene seien vermutlich ebenso unangenehm wie seine eigenen. Er grinst, reicht ihr mit einer tiefen, übertriebenen Verbeugung das Bild.

Allein, beschaut sie es lange, prüft es. Die Haare sind gold, die Augen starren, zwei blaue, dumme Flecke, aus der unbeholfenen Malerei. Margarete zieht mit ihren geschminkten Fingern die Nadel aus ihrem Haar.

Langsam, sorgfältig zielend, stößt sie durch die blauen Flecke. Das Pergament hält fest, sie bohrt, bohrt stärker, bohrt langsam durch. Das Pergament knirscht.

Dann sind zwei kleine ausgefranste Löcher an Stelle der Augen.

Der Markgraf erhob sich, die Besprechung hatte kaum zehn Minuten gedauert. Es war nur Geschäftliches besprochen worden, Rede und Antwort waren von eisiger Sachlichkeit gewesen.

»Es bleibt noch die Angelegenheit mit Taufers«, sagte Margarete.

»Auf später«, sagte Ludwig ablehnend.

»Es ist jetzt schon fast ein Jahr, daß die Sache hinausgezögert wird«, sagte Margarete. »Sie muß endlich erledigt sein

»Was also wollen Sie sagte feindselig der Markgraf.

Die Sache mit Taufers war so, daß Grenzstreitigkeiten entstanden waren zwischen Agnes von Taufers und dem Frauenberger. Agnes versteckte sich hinter dem Bistum Brixen, das sie belehnt hatte, nicht den Frauenberger. Sachlich war dieser, formal sie im Recht. Der Markgraf brauchte nur zu wollen, so ließ Brixen seine Einwände fallen, Agnes verlor die Güter. Die Räte des Bischofs nahmen an, dies sei nicht in der Absicht Ludwigs; so wagten sie, dem Frauenberger in diesem Punkt zäh zu opponieren.

Margarete, in feindseliger Laune, brachte die Gründe vor, die gegen das Bistum sprachen. Der Markgraf, ebenso verdrossen und vertrotzt wie sie, zählte die politischen Motive her, aus denen er jetzt den Bischof nicht verärgern wollte. Sie maßen sich, finster, entschlossen. Nie hätten sie sich, wäre es um eigenen Besitz gegangen, mit solcher Erbitterung widersprochen.

Es war bisher, trotz zunehmender Entfremdung, noch nie zu ernsthaftem Streit gekommen. Mit keinem Wort je hatte der Markgraf Margaretes Testament erwähnt, mit keinem Wort ihre Beziehungen zu dem Frauenberger. Sie hatte den Namen der Agnes in seiner Gegenwart niemals genannt. Jetzt erhitzten sie sich, bekämpften sie sich, drohend, trotzig, viel heftiger, als der geringfügigen Sache angemessen war. Sie standen sich gegenüber, wütend. Das ruhige, männliche Gesicht des Markgrafen verwilderte, verzerrte sich. Sie erwiderte mit erzwungener Ruhe, bösartig, stachelig, höhnisch.

Bis er schließlich nicht mehr an sich halten konnte und ihr hinwarf in hellem, spöttischem Zorn: »Das ist ja alles nur für deinen Affen, den Frauenberger

Sie wurde ganz grau, schnappte, sah ihn haßerfüllt an. Sagte schließlich heiser: »Ja, ja, ja! Ich leid es nicht, daß das Recht kaputtgeht für deine Hur

Er krampfte die Hand, sie nicht zu schlagen. Es war nicht seine Art zu schimpfen. Jetzt fiel er unflätig über sie her: »Hexe! Scheußliche! Stinkende! Hockst du zusammen mit deinem Affen und spintisierst das aus?

Ist es nicht Schande genug, daß ich ein Weib haben muß, von Gott gezeichnet, wie dich? Willst du noch meinen Namen verschimpfieren? Bist auf Männer aus, so, wie du aussiehst? Paßt ja gut zusammen, die Maultasch und der Aff Er schlug plötzlich um, ging mit dicken Adern und so verwildertem Gesicht auf sie los, daß sie hinter den Tisch zurückwich. »Ich duld es nicht schrie er. »Ich schlag ihn tot! Ich laß mich nicht lächerlich machen

*

Unterdes saß der Frauenberger auf Schloß Taufers.

Aus seinen rötlichen Augen blinzelte er Agnes an.

»Wir werden uns schon einigen«, quäkte er. »Sie sind reich, ich bin nicht arm. Liegt Ihnen so viel an den Höfen? Mir nicht. Mir sind sie ein Vorwand, Sie zu sehen Mit seiner roten, kurzen Hand tätschelte er ihre weiße, lange. Agnes lächelte. Der war ein Mann, der hatte Kraft, Willen, das nackte Geradezu.

»Die Welt ist dumm«, quäkte er. »Immer noch dümmer, als man denkt.« Er saß da, weites Maul in dem nackten, roten Gesicht, breit, fest, frech, häßlich. »Mir ist, ringsherum sind wir die einzigen Vernünftigen

Und seine harten, kurzen, zupackenden Finger langten ihren Arm weiter hinauf.

Er dachte übrigens nicht daran, ihr in der strittigen Frage auch nur ein Tipfelchen entgegenzukommen.

Agnes ging herum, ein leises, tänzerisches Lächeln um die Lippen. Sog ihren Triumph über Margarete, schlürfte ihn, ließ ihn auf der Zunge zergehen. Knüpfte den Markgrafen immer enger an sich, gleichmütig, unmerklich. Höhlte ihn aus, glitt in ihn hinein, nahm Besitz von ihm.

Er war ein sparsamer, nüchterner Herr, durchaus nicht geneigt zu verschwenden. Sie verlangte von ihm, nebenher, über die Achsel, Ausgaben, die er sich sonst durch Jahre überlegt hätte. Machte er den leisesten Einwand, so bestand sie nicht, ließ sofort ab. Allein sie hatte eine Art, sich abzuwenden mit einer höhnischen, kaum greifbaren, tief verächtlichen Verwunderung, die ihn mehr reizte, als Tränen, Bitten, Beschimpfungen hätten tun können. So stülpte sie allmählich den festen, sachlichen, rechenhaften Mann von Grund auf um, trieb ihn in Prunk und Verschwendung, zermürbte, unterwühlte, was Margarete in der Arbeit von Jahrzehnten geschaffen hatte.

Plötzlich war auch Messer Artese wieder da. Überall war er, an zehn Orten zugleich, mit drei Brüdern, die ihm sehr ähnlich sahen, unscheinbar, überaus höflich.

Ehe man es recht merkte, hatte er von neuem die Hand auf Zöllen, Salzrechten, Bergwerken. Die eisige Verachtung Margaretes erwiderte er mit zahllosen Verneigungen. Mit größter Bereitwilligkeit löste er den Markgrafen aus den Verpfändungen der Habsburger.

Jetzt, wenn er wollte, konnte Ludwig jenes Verwaltungsabkommen kündigen. Freilich war, was er dem Florentiner zahlte, dreimal höher als die Forderung der Österreicher. Schattenhaft dann, wie er kam, war Messer Artese wieder fort.

Erschien auf Schloß Taufers. Wer, wenn er den kleinen, höflichen Mann sah, hätte gedacht, daß er je so toben könnte, wie er es damals vor Agnes getan? Sie saßen sich gegenüber, Agnes und er. Sie lächelten sich zu, mit einem kleinen, wissenden Lächeln. Ei ja, schönes Land, reiches, gesegnetes Land. Wein, Obst, Brotfrucht. Blühende, geordnete, werktätige Städte. Er zerrte, sie stieß. Sie traf die Herzogin, die Häßliche, wenn sie stieß. Ihm war es schon weniger die Freude am Gewinn, die lockte: es trieb ihn, in dem Werk des Feindes zu stochern, zu wühlen, das Werk des erlegten, erledigten Juden vollends zu zerfetzen. Sie stieß die Häßliche, er zerrte an dem toten Feind.

Prall im Fett saß Konrad der Frauenberger, mästete sich, sein nacktes, breitmäuliges Gesicht glänzte rosig.

Er lag auf Polstern in dem eleganten kleinen Saal von Taufers, Agnes saß ihm gegenüber. Sonne kam herein, er blinzelte, rekelte sich faul, gähnte, knackte mit den Gliedern. Agnes bat, forderte, schmeichelte, drohte, er solle sie nach Trient begleiten. Er sagte, er denke nicht daran. Soll der Markgraf ihr den Narren machen. Sie kehrte sich ab mit jener leisen, gleitenden, verwunderten Verächtlichkeit, die beim Markgrafen alles erreichte. Er lachte schallend, derb vergnügt. Kehrte sich nach der andern Seite. Da sie beharrlich schwieg, fing er an zu gähnen. Streckte sich knackend, schlief friedlich, behaglich ein, lärmvoll schnarchend. Nach einer Stunde wachte er auf; es ging gegen Abend, sie saß noch immer im entgegengesetzten Winkel, gekränkt. Er stand faul auf, ging zu ihr, packte sie, grob, jovial, zog sie neben sich auf die Polster. Sie ließ es geschehen.

Er behandelte sie nach Laune. Ließ sie wie einen Hund nach einer Liebkosung zappeln. Tätschelte sie mit Versprechungen, die er lachend und selbstverständlich brach. Ihn davonjagen? Es ging nicht. Er hätte gelacht. Und es wäre auch lächerlich gewesen. Wer war noch so häßlich? So frech? So hart von Griff? So gab es keinen zweiten.

Sie dehnte sich unter seinen groben Liebkosungen, schaute schräg zu ihm auf. Sah sein sattes, schlaues, fleischiges, grinsendes Gesicht. Wie häßlich es war!

Wie voll Kraft und Gemeinheit es war! Sie war neugierig. Konnte man ihm nicht bei, daß seine freche, selbstsichere Fratze klein wurde und voll Angst?

Sie begann den Markgrafen zu hetzen. Ganz unmerklich, mit Scherzworten. Ihre Saat fand guten, lange vorbereiteten Boden. Sproßte, keimte, wuchs. Wie hatte Herzog Stephan gesagt? Es ist kein Leichtes, zu diesem Weib den Frauenberger zum Landeshofmeister zu haben. Er wird ein Ende machen. Er hat es satt bis dahin. Das Gespött Europas. Er wird ein Ende machen. In München. In einem Aufwischen. Erst mit der habsburgischen Schweinerei. Dann mit dem Frauenberger, dem Schandkerl, der Mißgeburt.

»Schau mich genau an«, sagte der Frauenberger zu Margarete und spreizte sich mit grotesk unterstrichener Wichtigkeit. »Schau mich genau an. Du wirst vielleicht nicht mehr lange Gelegenheit haben Da Margarete erstaunt hochblickte, quäkte er weiter: »Ich bin kein schöner Mann, ich weiß, aber sehr einmalig. Wer Interesse an mir hat, wird gut tun, mich genau anzuschauen, daß er mich in Erinnerung behält. Ich werde nicht mehr lange zu sehen sein. Es braut sich was zusammen gegen mich. Der Markgraf schaut auf mich mit Blicken wie Lanzen. Leider stehen wirkliche Lanzen zur Genüge dahinter. Er hat mich mit zur Begleitung nach München befohlen. Dort tut er sich leichter.

Der Gufidaun, der gute, ehrliche Junge, der mich nicht leiden kann, und der Kummersbrucker haben den Rand nicht halten können. Schau mich genau an, Margarete. Wenn ich nicht mehr da bin, sauf dich voll und träum von mir! Messen brauchst du keine lesen zu lassen. Bist eine gute Haut, Herzogin Maultasch«, lachte er und haute sie auf die Schulter. Er pfiff sein Lied von den sieben Freuden, blinzelte sie an, ging fort mit gegrätschten Beinen.

Margarete hatte kein Wort erwidert. Jetzt saß sie allein vor dem massigen Tisch, prunkend in hellgrünem Damast, starr geschminkt. Vor ihr lagen gehäufte Akten und Dokumente. Der Raum war schwer und düster, in ihrem Ohr war das gepfiffene Lied des Frauenbergers.

Ja, er hatte wohl recht. Was gab es sonst als die sieben Freuden seines Liedes?

Sie hatte nicht abgelassen. Sie war zerschlagen und zerstört worden ein erstes Mal, aber sie hatte nicht abgelassen. Hatte sich aus Dreck und Nichts ein Neues gebaut, das Land, die Städte, ihre bunten, lärmvollen, menschenvollen, zweckvollen Städte, ihr Werk. Und jetzt sollte das Blut, das sie ihnen mühsam zugeführt, abgezapft werden, weggeleitet, nach Bayern, irgendwohin, für die Hure, planlos verströmt. Der Markgraf hatte ihr nichts gesagt; aber es war ihr zugesickert aus vielen Mündern. Gekündigt das Verwaltungsabkommen mit den Habsburgern. Ihre Städte, ihr Tirol entblößt, leer, ausgesogen, hingeschmissen.

Nicht genug. Das andere. Der Frauenberger. Der Häßliche, Einsame. Der zu ihr gehörte. Den sie herangeholt hatte. Vielleicht war er schlecht, niedrig, ein Lump. Aber er gehörte zu ihr. Vor allen Menschen er.

Und den wollte er ihr auch nehmen. Oh, sie hatte nicht vergessen, wie er geschrien hatte in jener Unterredung: »Ich schlag ihn tot! Ich laß mich nicht lächerlich machen Sie hörte seine Stimme, die heiser war vor Haß, sah seine verwilderten Augen. Ja, der Konrad hatte schon die rechte Witterung, es roch nach Mord. Ging er nach München, kam er nicht zurück.

Ihr dürres, altes Fräulein von Rottenburg war im Saal, räusperte sich. Der welsche Händler war da, der Palermitaner, den sie herbestellt. Sie war froh an der Ablenkung, ließ ihn kommen. Er stand vor ihr, dick, olivfarbenes Gesicht, rasche, bräunliche Augen. Er hatte vielerlei. Bunte Vögel, feine glänzende Tücher und Gewebe, edle Steine, seltene Essenzen, fremdartiges Konfekt. Mit schnellen, geschmeidigen Bewegungen, unterstützt von seinem Gehilfen, breitete er seine Dinge vor sie hin. Sie verweilte da, dort. Ließ sich erklären, war nicht bei der Sache, sprach dann lebhafter als sonst. Was war das? Ein Fläschchen, eine kleine Vase aus mattfarbenem Halbedelstein, schönformig, fest verschlossen und versiegelt. Das? Oh, die Frau Herzogin sei eine Kennerin, die Frau Herzogin habe sichersten Geschmack. Das sei freilich eine große Kostbarkeit. Aus einem Stück, wie edel in der Form, in der Rundung! Von einem großen Meister, ei ja. Und sie möge gnädigst die Bilder beachten, die eingeschnitten seien. Hier der Hohenstaufenkaiser, der zweite Friedrich, und hier der jüdische König Salomo, und da die Königin von Saba, und auf der vierten Seite der Sultan Boabdil, ein starker, grausamer Fürst der Berberei.

Auch sei der Inhalt des Fläschchens eine große Seltenheit: ein feiner Saft, ohne Geruch, ohne Farbe, ohne Geschmack; wer auch nur einen Tropfen davon genießt, der überlebt die Stunde nicht, der geht aus wie ein Docht ohne Öl. Ein kostbares, edles Fläschchen.

Die Herzogin kaufte viel und wahllos durcheinander, ohne Feilschen, gegen ihre Gewohnheit. Tücher, Gewürz, viel Schmuck, zwei von den bunten Vögeln, auch das Fläschchen.

Dann setzte sie sich zu Tische. Aß. Aß ganz allein, prächtig geschmückt. Auch die Tafel war prunkvoll bereitet, mit Schaugerichten, goldenen Schüsseln und Tellern. Musik im Nebenraum. Diener, Kämmerlinge, Vorschneider liefen. Sie aß mächtig. Der Frauenberger hatte recht. Dies war eine der sieben Freuden des Lebens. Um sie herum waren die Dinge gestapelt, die sie gekauft hatte, Schmuck, Tücher, auch das Fläschchen.

Sie führte mit ihren geschminkten Händen die Speisen zum Mund: Brühe, Fische, Braten, von dem köstlichen, fremdartigen Konfekt, das sie heute erstanden.

Sie schlang, schüttete Wein hinunter. Dämmerung brach herein, schwere, riesige Kerzen wurden entzündet. Sie saß allein, plump, starr, pomphaft. Aß.

Da also lag es. Er hatte nicht gewagt, es ihr selber zu bringen. Er hatte es durch einen Boten geschickt. Ein kurzes, höfliches Schreiben lag bei, in dem er um ihre Unterschrift ersuchte.

Sie hatte sogleich Schenna hergebeten. Vor dem ließ sie sich gehen, verströmte. Wirklich gekündigt der habsburgische Vertrag! Eingerissen und kaputt der schöne, kunstvolle Kanal, durch den sie ihren Städten Saft und Gedeih zuführte. Und sie soll noch ihre Unterschrift dazu geben! Der Boden unter ihren Füßen bröckelnd wie Sand. Das Werk ihres Lebens fort, entgleitend, wie fließendes Wasser, nicht zu halten. Hin alles, blöde, sinnlos vertan.

Schenna hörte still zu, sein welkes, langes Gesicht sonderbar kraus verzerrt; ihr Verströmen, ihr Zusammenbruch ging ihm näher, als er vor sich selber wahrhaben wollte. Arme Frau! Arme Herzogin Maultasch!

Wäre dein Mund einen Finger schmaler, die Sehnen deiner Backen ein weniges straffer, du lebtest befriedet, glückhaft, und Tirol und das Römische Reich sähe anders aus. Er raunzte mit sich selber. Alberne Sentimentalität!

Als er endlich antwortete, hatte er sich wieder ganz im Zaum. Mit seiner hohen, müden, brüchigen Stimme legte er dar, es sei nichts zu gewinnen, wenn sie nicht unterzeichne; formal sei ihre Unterschrift ohne Belang, der Markgraf verlange sie nur aus Prestigegründen. Unterzeichne sie aber, so könne man nicht umhin, sie zumindest bei der Liquidierung des Vertrags mit einreden zu lassen.

Wie sie aber schwieg, breit, plump, verloren und verfallen dahockte, packte es ihn wieder. Er sagte, er wolle helfen, wo er helfen könne. Er sei Tiroler; es kratzte ihn, daß das lebendige, wache, rege, kultivierte Tirol den schläfrigen, dumpfen, trägen, gewalttätigen Bayern solle ausgeliefert werden. Er gab sich einen Ruck, es war ein schwerer Entschluß, man sollte eigentlich wirklich nicht so weichherzig sein. Aber dann stand er und sagte, und in seiner Feierlichkeit war schon ein bißchen Ironie: wenn sie also noch Wert darauf lege, sei er, um das Mögliche zu retten, bereit, die Hauptmannschaft im Gebirg, das Burggrafenamt zu übernehmen. Sie drückte seine lange, dürre, schlaffknochige Hand mit ihrer dicken, geschminkten.

Dann stand der Frauenberger vor ihr, sich zu verabschieden. Klirrend stand er, aus dem hellen Eisen grinste rosig, glatt, nackt das freche, weitmäulige Gesicht. Es bleibe ihm nur übrig unterzutauchen, ins Dunkle, ins Subalterne, wo der Markgraf ihn nicht finden könne; denn zu sterben habe er durchaus nicht die Absicht. Er werde also unterwegs im gegebenen Augenblick verschwinden. Man sei ein Mann, nehme das Schaukeln, hinauf, hinunter, nicht zu schwer. Sie sei eine gute Haut, er habe mehr Spaß an ihr gehabt als an so mancher mit einem zierlichen Puppenmund. Interessanter sei es sicher gewesen. Somit Gott befohlen.

Sie sagte, er habe ihr ein Amulett gegeben mit bösen Wünschen für eine gewisse Person. Sie wolle sich revanchieren. Sie reichte ihm das mattfarbene Fläschchen. Der Saft sei geruchlos, geschmacklos; wer davon koste, sei in der gleichen Stunde in der Hölle, im Paradies. Bevor er zurücktauche ins Dunkel, in die Niedrigkeit, solle er sich das überlegen.

Er griff danach, grinste, sie sei ein Teufelsweib. Geruchlos, geschmacklos; hm, das sei wohl zu überlegen.

Sie, rasch: sie habe nichts gesagt. So habe es ihr der Sizilianer geschworen. Und da er vermeine, sie sehe ihn nicht wieder, gebe sie ihm das. Alles stehe bei ihm, sie habe nichts gesagt.

Er, ungeheuer massig in der Rüstung, quäkte aus dem vielen Eisen heraus, er danke auch vielmals. Wie gesagt, ein Teufelsweib. Er hob beschwerlich den eisernen Arm, klopfte sie, quäkte: »Unsere Maultasch Zog mühsam ab, eisern, klirrend, froschmäulig grinsend.

Pfiff sein Lied.

Von unten klangen die Hörner und Trompeten der Abreitenden. Der Markgraf hatte sich nicht verabschiedet. Sollte sie ans Fenster? Kein Glied gehorchte ihr. Sie lehnte am Tisch, fahl, grau, eine geschminkte Tote.

Durch den braungoldenen September trabten der Markgraf und seine Herren. Eine Weile ritten sie den blassen, weiten Chiemsee entlang. Starke Luft ging, die Berge in sattem Blaugrau blieben zurück.

Ludwig war bester Laune. Er trug einen leichten, dunkeln Brustpanzer, den Helm hatte er einem Knaben gegeben, der Wind wehte angenehm um den kurzhaarigen Schädel. Er fühlte sich sehr jung, seine harten, blauen Augen blickten frischer als sonst aus dem bräunlichen, männlichen Gesicht. Es war ein guter Entschluß gewesen, die Österreicher hinauszuschmeißen. Jetzt ritt er als wirklicher Herr in seinem Land.

Fort mit dem frechen roten Löwen Habsburgs von dem blauen wittelsbachischen! Er freute sich darauf, seine Beamten einzusetzen, reinen Tisch zu machen.

Ja, reinen Tisch. Auch die Sache mit dem Frauenberger hat er sich genau zurechtgelegt. Heute nacht schon wird er ihn packen, es mit ihm austragen, ritterlich, mit der Waffe. Am Ausgang zweifelte er nicht.

Dann wird er Luft haben, atmen können. Margarete wird er kaum mehr sehen. Soll sie in ihrem Schloß Tirol sitzen; er wird in München, Innsbruck, Bozen residieren, gubernieren, wie er es für gut hält. Stimmt sie zu, schön; stimmt sie nicht zu, auch gut. Agnes wird keinen Grund mehr finden, ihm die Schulter zu kehren mit jener frechen, leisen Manier, die ihn so reizt.

Daß er seine Dumpfheit hinter sich gelassen hatte, daß er so genau wußte, was er vorhatte, kratzte ihn auf, machte ihn freier und lustiger als seit Jahren. Er scherzte mit Berchtold von Gufidaun, mit seinem getreuen Kummersbrucker. Ja, er schaute sogar mit einem gewissen grimmigen Wohlwollen auf den Frauenberger. Der ritt daher, breit, plärrend, rosig in seiner hellen Rüstung, blinzelte schlau und behaglich aus seinen rötlichen Augen in die besonnte, vergnügte Welt –und war doch schon so gut wie tot. Der Markgraf rief ihn an, ritt neben ihm. Der Frauenberger erzählte unflätige Witze, machte freche Anspielungen. Ludwig lachte schallend, ging auf seinen Ton ein, sie führten ein derbes, grobes Soldatengespräch, unterhielten sich ausgezeichnet.

Dann machte man, sehr früh, Mittag. Man aß im Freien, reichlich, trank, legte sich eine Weile nieder.

Dann trank man nochmals, saß wieder zu Pferde. Ludwig hatte jetzt auch den Helm auf, er wollte so durchreiten bis München. Der Frauenberger hielt sich in der Nähe des Markgrafen, der suchte ihn geradezu. Man ritt los. Man war jetzt in der Ebene, die Berge verdämmerten rückwärts, die Ebene war weit, einförmig, zuweilen flimmerte in der Sonne ein kleiner, unansehnlicher Rittersitz, ein Hof, ein ziemlich armseliges Dorf.

Man ritt frisch zu, man wird noch vor Abend in München sein.

Die Unterhaltung zwischen dem Markgrafen und dem Frauenberger wurde lahmer, stockte. Er fühlte sich merkwürdig müde, der Atem ging ihm schwer, die leichte Rüstung drückte ihn. Hatte er zuviel getrunken? Rechts am Weg tauchte ein Dorf auf, die Häuser waren so sonderbar rund, schmutzigblaß trotz der hellen Sonne, schichteten sich komisch übereinander. Jemand sagte: »Der Ort heißt Zorneding War das die Stimme Gufidauns oder des Kummersbruckers?

Plötzlich nestelte er am Helm, am Panzer, fiel vornüber zur Seite vom Pferd, der halb gelöste Helm schlug herunter. Der Kummersbrucker ritt zu, ein Knabe, sie fingen ihn auf. Der Helm kollerte vollends in Staub, das Gesicht war fahl, doch nicht weiter entstellt, der Unterkiefer hing herab. Der massige Nacken des Leblosen sah gar nicht mehr gefährlich aus, nur dumm und plump. Sie rieben ihn, beteten. In die dumpfe Betretenheit der Herren hinein quarrte die helle, breite, gemeine Stimme des Frauenbergers: »Seltsamer Zufall. Auf freiem Feld in der Nähe von München. Genau wie sein Vater.« Berchtold von Gufidaun sah ihn auf und ab, finster, drohend. Der Frauenberger, frech blinzelnd, hielt stand, quäkte: »Wünschen der Herr etwas Gufidaun kehrte sich langsam ab, schwieg.

In der Margaretenkapelle der Münchner Hofburg wurde der Leichnam aufgebahrt. Viele Kerzen brannten. Ulrich von Abensberg, Hippolt vom Stein, fünf andere Barone hielten Totenwacht. Auch der Frauenberger war darunter. Doch der begann bald zu gähnen, zog sich zurück. Streckte sich auf sein Bett, pfiff sein Lied, knackte die Glieder, rülpste, schnalzte, schlief friedsam ein.